„Ja, ja, faszinierend.“ Der Zandalari sah aus, als hätte er schon Ratte gegessen, aber keinen Gefallen an dem Geschmack gefunden. „Dann such mal.“

Vol’jin neigte erneut den Kopf. „Danke, Boss! Wenn ich schon dabei bin, könnte ich für Euch ja auch gleich eine fang’n. Eine schön fette.“

„Nicht nötig. Beeil dich einfach!“

Der Dunkelspeer stieg in den Bauch des Schiffes hinab. Zwei Decks weiter unten richtete er sich wieder auf und ging schnurstracks zur Pulverkammer. Ein Seemann saß vor der Tür auf einem Stuhl; er sollte Wache halten, aber das sanfte Auf und Ab der Wellen hatte ihn in den Schlaf gelullt. Vol’jin packte ihn mit einer Hand am Kinn, mit der anderen am Schädel und riss seinen Kopf dann hart herum. Das Genick des Trolls brach mit einem feuchten, aber gedämpften Knacksen. Am Körper des Toten entdeckte er den Schlüssel für die Pulverkammer, was ihm die Mühe ersparte, wieder an Deck gehen und den Offizier töten zu müssen, und er entriegelte die Tür.

Die Leiche versteckte er im Inneren des Raumes, dann zog er vier Säcke von der Wand, jeder war mit genug Schießpulver gefüllt, um eine Kanone zu laden. Nun schlug er mit dem Ellbogen den Deckel eines Fasses ein und kippte es in Richtung des Eingangs um, und nachdem er die Säcke auf die Arme genommen hatte, schloss er die Tür von außen wieder, wobei die Unterseite der Tür das Schießpulver aus dem Fass zu einer knapp anderthalb Fingerbreit hohen Schicht auf dem Boden glatt strich. Anschließend benutzte Vol’jin die Säcke, um eine Spur aus Schwarzpulver zu legen, an der Wand entlang, wo sie in den Schatten lag, bis hinüber zur achtern gelegenen Kabine.

Dort legte er die Pulverspur in die Mitte des Ganges und schüttete die beiden restlichen Säcke zu einem gewaltigen Haufen auf. In der Kabine, die offensichtlich als Krankenstation fungierte, hingen zwei Öllampen an Ketten von der Decke. Vol’jin entzündete sie beide, anschließend zog er ihre Dochte heraus, soweit es ging, und verteilte das Schießpulver darunter. Nun verbarrikadierte er die Tür von innen, und nachdem er noch kurz mit einem Lächeln sein Werk betrachtet hatte, öffnete er das Fenster im Heck des Schiffes und kletterte nach draußen. Er ließ sich an den Händen vom Sims hängen, sodass seine Füße nur zehn Fuß über dem dunklen Wasser baumelten, dann streckte er die Zehen und ließ los. Er fiel senkrecht in die Tiefe, und als er eintauchte, erklang lediglich ein leises Platschen. Daraufhin stieß er sich von der Schiffshülle ab und schwamm unter Wasser zu der Stelle, wo er hoffte, Chen und das Fischerboot anzutreffen.

Nach der Hälfte der Strecke tauchte er auf und näherte sich mit schnellen Zügen dem Kahn. Chen und Tyrathan zogen ihn an Bord, und noch während er auf dem Boden lag, deutete er in die Richtung, aus der er gekommen war. „Seht ihr diese zwei Lichtpunkte …?“

Tyrathan legte einen Pfeil an und lächelte. „Jihui. Das Feuerschiff.“ Er spannte die Sehne und ließ los.

Der Pfeil verschwand in der Düsternis, und obwohl er Tyrathans Arm vertraute, kamen Vol’jin einen Moment lang doch Zweifel, aber dann hörte er ein Splittern, vermutlich, als das Geschoss eine Glasscheibe durchschlug. Tyrathan behauptete später jedoch, dass er sich das nur eingebildet hatte und dass der Pfeil durch das offene Fenster geflogen war.

Flüssiges Feuer spritzte durch die ferne Kabine, gefolgt von hell flackerndem Licht und dickem Rauch, als das Schießpulver sich mit einem gedämpften Knall entzündete. Vol’jin stellte sich vor, wie der Wachoffizier sich umdrehte und den Qualm hinter dem Heck aufsteigen sah. Entweder würde er Alarm geben oder kurzerhand von Bord springen – auf jeden Fall würde er aber nicht an den Rattenfänger unter Deck oder die anderen Trolle aus seiner Mannschaft denken.

Nun geriet der verschüttete Inhalt des Fasses in Brand, und die Pulverkammer flog in die Luft. Flammen schossen zwischen den Planken hervor, und hie und da sprengten sie ein paar Bretter aus dem Rumpf. Als Erstes fingen die Säcke Feuer, dann die Fässer. Die Folge war eine ganze Serie von Explosionen, die immer greller wurden und immer schneller aufeinanderfolgten, bis sie zu einem gewaltigen Grollen verschmolzen, das die Schiffswand auf der Steuerbordseite zerfetzte.

Das Schiff kippte heftig in Richtung der Anlegestelle und zermalmte den Steg, wobei einige Pfeiler den Rumpf durchbohrten. Die Explosionen setzten sich fort und wanderten in Richtung des Bugs, dann wurden die Abdeckungen vor den Kanonenluken nach außen gesprengt, und eines der Geschütze feuerte sogar durch die geborstene Hülle, bevor sie auf und durch den Steg stürzte.

Vol’jin malte sich aus, wie sie dabei den fliehenden Wachoffizier zerquetschte.

Als die Explosion anschließend eine Säule aus Feuer in den Himmel schleuderte, war das Schiff völlig zerstört und seine Masten nur noch schwarze Silhouetten, die hin und wieder durch die Flammen stachen. Kurz reckten sie sich noch den Sternen entgegen, dann kippten sie um. Ein Mast bohrte sich durch die Hülle eines zweiten Schiffes und spießte es auf, der andere zerbarst auf dem Dock.

Kanonen flogen durch die Luft, wobei die Rohre sich von den Lafetten lösten. Eines der Geschütze sauste wild trudelnd auf den Strand zu und mähte zwei Trolle nieder, bevor es in der Fassade eines Lagerhauses landete und sie zum Einsturz brachte.

Holztrümmer, größtenteils brennend, regneten in einem weiten Umkreis herab, auf die anderen Schiffe und die Dächer weiter entfernter Lagerhäuser. Die Funken schienen die verstreuten Sterne am Himmelszelt nachzuahmen, während ringsum Flammen züngelten, Kohlen glühten und die Silhouetten von Zandalari und Mogu in Panik umhereilten.

Bug und Heck des Schiffes versanken langsam im Meer, und die Welle, die sich von dort ausbreitete, trieb das kleine Boot auf seinem Weg zum Ozean weiter an. Chen legte beide Pfoten auf das Ruder und navigierte sie zwischen den brennenden Trümmern hindurch, während Tyrathan und Vol’jin das dreieckige Segel den Mast hinaufzogen.

Der Troll lächelte, als sie zu der Stelle segelten, wo Cuo auf sie wartete. „Gut geschoss’n.“

„Ein Pfeil, ein zerstörtes Schiff und ein verwundeter Hafen.“ Der Mensch schüttelte den Kopf. „Zum Glück ist Tyrathan Khort tot. Ganz gleich, wer diese Geschichte über ihn erzählen würde, niemand würde sie glauben.“


28

Khal’ak hätte Mitleid mit dem Gurubashi gehabt, der in einer Lache seines eigenen Gewimmers und Gesabbers vor Vilnak’dor kniete, aber sein Bericht wurde nur noch erbärmlicher, als er ihn ein zweites Mal vortrug. Und obendrein hatte er sich von einem Dunkelspeer demütigen lassen. Der Troll blickte zu dem Zandalari-General auf, einen flehentlichen Ausdruck in den tränennassen Augen.

„Dann hab’n sie mir einen Eimer Wasser über den Kopf geschüttet, um mich aufzuweck’n, Meister. Und dieser Troll, er hat mich am Kinn gepackt und mir eine Botschaft für Euch übermittelt. Im Licht der brennend’n Schiffe war sein Gesicht todernst. Er sagte, mit dem Mensch und den Shado-Pan auf seiner Seite würde uns noch viel größere Verwüstung droh’n, falls wir in Pandaria einmarschier’n. Und dann hat er das getan!“

Der Gurubashi strich eine Strähne kastanienbraunen Haares zurück, die ihm in die Stirn gerutscht war. Eine krude, speerförmige Narbe prangte dort in seinem Fleisch. „Damit niemand die Dunkelspeere vergisst, meinte er.“

Vilnak’dor verpasste ihm einen Tritt in den Bauch, dann wandte er sich zu Khal’ak herum. „Das ist deine Schuld, Khal’ak. Alles nur deine Schuld. Du hast dich von ihm täusch’n lassen.“

Sie reckte das Kinn hoch. „Er hat nichts dergleichen getan, Mylord. Wir hatt’n Vol’jin, mit Haupt und Herz, bis Kriegsfürst Kao hier meine Autorität untergrab’n hat.“

Der Mogu-Kriegsfürst, der während der geschluchzten Berichterstattung des Trolls wortlos dagestanden hatte, blickte gleichgültig auf seine Klauen hinab. „Er steckte mit den Shado-Pan unter einer Decke. So jemandem hätte man nie vertrauen dürfen.“

Sie unterdrückte ein Zischen. „Ich werde mich um ihn kümmern.“

„So, wie er sich um deine Offiziere und dein Schiff gekümmert hat?“

Wir sind auf einer Insel, wo dein Meister Gebäude allein durch seine Träume erricht’n kann, und trotzdem hat er nicht bemerkt, wie Vol’jin gefloh’n ist? Sie zögerte einen Augenblick und fragte sich, ob der Donnerkönig es wirklich nicht bemerkt hatte oder ob er vielleicht nur beschlossen hatte, nichts zu unternehmen. Möglich. Wenn auch närrisch. Aber vielleicht schon närrisch genug, um dem König brillant zu erscheinen, der einst von den Pandaren gestürzt wurde.

Sie stellte diesen Gedanken einen Moment zurück und richtete sich an ihren Vorgesetzten. „Der Schad’n, den wir erlitten haben, ist unbedeutend, sowohl was den Umfang als auch die Auswirkung betrifft. Die Trupp’n sind jetzt in höchster Alarmbereitschaft, und das wird sich bei unserem Einsatz in Pandaria bezahlt mach’n. Der Verlust des Schiffes ist bedauernswert, aber das Feuer konnte rechtzeitig eingedämmt werd’n. Wären die Lagerhäuser abgebrannt, hätte das unsere Invasion vielleicht um eine Jahreszeit zurückgeworf’n. Aber so, wie es ist, verlier’n wir höchstens zwei Wochen, um die Kais zu reparieren und die Trümmer aus dem Haf’n zu fischen.“

Vilnak’dor lächelte. „Seht Ihr, Kriegsfürst Kao, wir stechen in zwei Wochen in See. Euer Meister wird zufried’n sein.“

Der Mogu schüttelte den Kopf. „Ihr stecht in zwei Wochen in See. Ich segle in einer Woche los. Die Shado-Pan müssen zerstört werden. Ich und meine Leibwächter werden uns darum kümmern.“

Khal’ak runzelte die Stirn. Leibwächter? Die einzigen Mogu, die Kao mehr als eines Blickes gewürdigt hatte, waren die beiden gewesen, die ihm in der Gruft den Mantel und den Stab gegeben hatten. „Wie viele habt Ihr denn?“

„Zwei.“ Er hob den Kopf. „Mehr werde ich nicht brauchen.“

„Ihr wisst nicht, wie viele Mönche es gibt, Kriegsfürst.“

„Das ist unwichtig. Wir werden gewinnen.“

Der Troll-General zog eine Augenbraue nach oben. „Ich will nicht unhöflich erscheinen, aber in der Vergangenheit seid Ihr mit einer viel größeren Streitmacht gescheitert.“

„Dies ist aber nicht die Vergangenheit, General Vilnak’dor.“

Nein, es ist die Gegenwart. Eine Gegenwart, in der wir dich aus der Gruft befreit hab’n, in die du von deinem geliebten Meister gesperrt wurdest.

Vilnak’dors Gesicht wurde verschlossen. „Mein Freund, ich hatte gehofft, dass ich Euch mit einer gut’n Nachricht überraschen könnte – der Nachricht, dass die Shado-Pan vernichtet werd’n.“

„Und wie?“

Der Zandalari nickte in Khal’aks Richtung. „Ich entsende meine rechte Hand, um ihnen den Garaus zu mach’n. Sie wird fünfhundert Elitekrieger mitnehmen – mehr als die Hälfte davon aus meinen eigenen Haustruppen. Wenn Euer Meister in Pandaria eintrifft, werden sie ihm die Köpfe sämtlicher Shado-Pan zum Geschenk mach’n – und dazu die Köpfe des Dunkelspeers und seiner Begleiter.“

Die Augen des Mogu weiteten sich, als er von dem General zu Khal’ak und wieder zurück blickte. „Sie? Diejenige, die den Dunkelspeer entkommen und all diesen Schaden anrichten ließ? Sind die Zandalari im Lauf der Jahrhunderte etwa senil geworden?“

„Die Frage, die Ihr Euch eigentlich stell’n solltet, ist, warum ich sie überhaupt mit der Aufgabe betraut habe, Vol’jin hierher zu bring’n. Eine kleine Demonstration, sofern Ihr nichts dagegen habt.“

Khal’ak nickte, dann stieß sie den Gurubashi mit einem Zeh an. „Steh auf!“ Ein zweiter Tritt und ein schärferer Befehl erschreckten ihn genug, dass er unstet auf die Beine taumelte.

Sie verpasste ihm mit der offenen Hand einen harten Schlag auf das linke Ohr. „Renn zur Tür! Wenn du es schaffst, sollst du leb’n. Jetzt!“

Während er noch mit der Hand sein Ohr betastete, wirbelte der Troll herum und hetzte los. Khal’ak hob ihre rechte Hand und ließ den Dolch, der unter ihrem Ärmel verborgen gewesen war, zwischen ihre Finger rutschen. Anschließend bog sie den Arm zurück und maß die Entfernung. Der Troll rannte in vollem Sprint, und die Panik lenkte seine Schritte. Er schaffte es sogar bis vor die Tür.

Da riss Khal’ak die Hand vor.

Der Troll stolperte und griff sich laut keuchend an die Brust, dann kippte er auf die Knie und fiel zuckend zur Seite. Lähmende Krämpfe schüttelten seinen Körper, und seine Handflächen quietschten, als sie über den polierten Steinboden fuhren, dann krümmte er den Rücken und stieß einen letzten Schrei aus. Einen Moment später waren seine Augen bereits trübe.

Der Mogu stapfte hinüber, wobei seine Schritte den Boden vibrieren ließen, und musterte den Troll, ohne sich aber für eine genauere Inaugenscheinnahme zu bücken. Es bestand kein Zweifel daran, dass der Gurubashi tot war, aber weder ragte eine Klinge aus seiner Brust noch lag er in einer größer werdenden Lache seines eigenen Blutes.

Kao kehrte zu den beiden anderen zurück und nickte. „Gut, ihr kümmert euch um die Shado-Pan. Aber ich werde dir trotzdem meine Leibwächter mitschicken. Und eine Sache noch.“

Khal’ak lächelte milde. „Ja?“

„Es würde meinem Meister Vergnügen bereiten, wenn ihr Ende sehr viel blutiger würde als das hier.“


Kaum dass der Mogu den Raum verlassen hatte, verbeugte Khal’ak sich vor Vilnak’dor. „Euer Vertrauen in mich ist ermutigend, Mylord.“

„Wohl eher zweckdienlich. Du hast dir Kao zum Feind gemacht, und er wird den Donnerkönig geg’n dich aufhetzen. Es gibt also nur zwei Möglichkeiten: Entweder du bringst ihm, wie versprochen, die Köpfe der Pandaren, oder ich bringe ihm deinen Kopf.“

„Ich verstehe, Mylord.“ Khal’ak neigte den Kopf. „Warum ausgerechnet fünfhundert?“

„Bei fünfhundert werden die Krieger denk’n, es ist eine Ehre, ausgewählt zu werden. Würde ich mehr schick’n, würden sie glaub’n, es wäre eine Mission für Narren oder ein hoffnungsloses Unterfang’n. Das würde der gesamten Truppe ihre Moral raub’n. Außerdem: ein Dunkelspeer, ein Mensch und ein paar Pandaren auf einem Berg, ohne Rückzugsmöglichkeit’n? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Kloster mehr als ein Dutzend Pandar’n beherbergt. Warum solltest du da mehr Krieger brauch’n?“

„Ihr habt recht, Mylord, fünfhundert sollten mehr als genug sein.“ Sie lächelte. „Und ich werde alles tun, um sie zum Erfolg zu führ’n.“

„Natürlich wirst du das.“ Der General deutete auf den toten Gurubashi. „Deine Fähigkeit’n sind lobenswert.“

„Danke, Mylord! Ich werde jemanden schicken, um die Leiche fortzubringen.“ Sie verbeugte sich und ging zur Tür, wobei sie über den Toten hinwegstieg, ohne ihre Schritte zu verlangsamen, so als wäre er ebenso ein Phantom wie der Dolch, den sie nach ihm geworfen hatte.

Der Tod des Gurubashi war eine Demonstration für den Mogu gewesen. Sie hatte nur so getan, als hätte sie das Messer geworfen, das sie gezückt hatte. Tatsächlich hatte sie es wieder in die Hülle an ihrem Oberarm gesteckt, als Kao sich umgedreht hatte, um dem Troll nachzublicken. Was den Gurubashi getötet hatte, war kein unsichtbares Messer gewesen, sondern die Giftnadel des Ringes an ihrer Hand – der Hand, mit der sie ihn geohrfeigt hatte. Nach dem Schlag hatte er noch zehn Sekunden zu leben gehabt, und sie hatte acht Sekunden gehabt, um ihr Messer zu werfen. Ohne tatsächlich Magie zu benutzen, hatte sie so den Anschein erweckt, als wäre ihr Opfer auf magische Weise ums Leben gekommen. Das sollte dem Mogu zu denken geben. Nun musste er sich nämlich fragen, ob die Zandalari während seines langen Schlafes vielleicht neue Kräfte entdeckt hatten.