„Warum?“
„Weil ich will, dass du dich uns anschließt. Das würde die Mogu beeindruck’n und ihnen zeigen, dass wir noch immer mächtig’n Einfluss im Rest der Welt haben. In ihren Augen haben wir bislang nichts geleistet, abgeseh’n davon, dass wir ihren schlafenden König wiedererweckt haben. In ihrer Arroganz ignorier’n sie die Tatsache, dass sie selbst diese Aufgabe in all den Jahrtausend’n seit dem Untergang ihres Reiches nicht erledig’n konnten. Dass ein Mensch und ein Troll uns behindern konnten, darin sehen sie Schwäche, ein Zeichen dafür, dass die Kraft in unserem Blut schwächer geword’n ist. Wenn du zu uns stoßen würdest, wäre das großartig.“
Vol’jin runzelte die Stirn. „Du warst doch dort. Ich habe das Angebot der Zandalari bereits abgelehnt.“
„Dies ist weder dasselbe Angebot, Schattenjäger, noch dieselbe Welt.“ Sie streckte die Hand aus und streichelte mit ihrem Finger die Wunde an seinem Hals und dann die an seiner Seite. „Damals sagtest du, die Horde wäre deine Familie. Aber sie hat dich verstoßen. Garrosh, feige und kleingeistig, wie er ist, hat die einzige Person niedermetzeln lass’n, die ihn mit Rat und Tat durch den Mahlstrom der Zukunft hätte führen können. Dein Volk sind die Dunkelspeere, und wir sind willens, sie zu den Ersten unter den Stämmen zu erheb’n.
Gewiss, die Gurubashi werden sich beschweren, die Amani werden jaulen, und sie werd’n auf ihre Geschichte pochen, aber ich werde ihnen ihre Fehler und ihr Versag’n aufzeigen. Denn die Dunkelspeere sind der einzige Stamm, der sich selbst treu geblieb’n ist. Dass ihr nicht zu den Herrschern eines großen Reiches aufgestieg’n seid, liegt nicht daran, dass ihr es nicht konntet. Ihr habt euch nur für einen anderen Weg entschied’n. Dass sie nach einem solchen Imperium strebten, kann nicht darüber hinwegtröst’n, dass sie versagt haben. Sie erwarten, dass man sie wegen Taten ehrt, die Jahrhunderte zurücklieg’n und die nur kurz darauf wieder ungeschehen gemacht wurd’n.“
Sie hob sein Kinn an, sodass ihre Blicke sich trafen, und das Versprechen einer glorreichen Zukunft funkelte in ihren Augen. „Dies ist mein Angebot an dich, Vol’jin Dunkelspeer von den Dunkelspeeren. Sei mir, was du Thrall warst! Entfalte deine ganze Macht als der Schattenjäger, den dein Volk braucht! Dein Volk: die Dunkelspeere und alle Trolle. Gemeinsam werd’n wir der Welt ihre Fehler aufzeigen, und wir werden wieder Recht und Ordnung in Lande bring’n, die schon viel zu lange unter ihrer Abwesenheit darben.“
Vol’jin hob seinen Kelch. „Das ist eine große Ehre; und ein Angebot, das nur ein Narr ablehn’n würde.“
„Und nur ein Narr würde es allein auf mein Wort hin annehm’n.“
„Du bist sehr überzeugend.“
„Und du bist zu gütig.“ Sie lachte spielerisch. „Es gibt natürlich einige Dinge, die ich wissen muss. Warum treffe ich dich in der Begleitung von Pandaren an? Warum lässt du dir von einem Menschen helf’n? Warum kämpft ihr gegen uns?“
Vol’jin betrachtete ihr Gesicht einen Moment lang. „Du kennst Chen Sturmbräu vermutlich. Er ist ein alter Freund von mir. Er war außerdem derjenige, der mich gefund’n hat, nachdem die Horde mit mir fertig war. Die Mönche, die deine Mogu-Verbündet’n so hassen, haben mich aufgenommen und gesund gepflegt. Dasselbe hab’n sie auch für den Menschen getan.“
Er trank ein wenig mehr Wein. „Was meinen Kampf geg’n euch betrifft: Als ich sah, dass es eine Invasion geben würde, habe ich gar nicht daran gedacht, wer da in Pandaria einfällt. Ich wollte meinen Wohltätern nur ihre Güte vergelt’n.“
Khal’ak legte den Kopf schräg. „Du sagst, du hast die Invasion geseh’n. Dann hat die Seidentänzerin dir also auch Visionen geschickt.“
Vol’jin nickte. „Ich vermutete zumindest, dass sie es ist.“
„Ja. Sie ist seit Urzeit’n unsere Schutzheilige, aber es gefällt ihr nicht, dass wir die Bande zu den Mogu neu geknüpft haben. Ich vermute, in der Vergangenheit gab es wohl einige unserer Krieger, die zu viel Gefall’n an der Mogu-Magie fanden und sich darum von der Seidentänzerin abwandten. Dieser Kult ist schon längst verschwund’n, aber in ihrem Gedächtnis ist er noch immer präsent.“ Khal’ak starrte in die dunklen Tiefen ihres Weins. „Es überrascht mich nicht, dass sie bereit war, uns jetzt ein wenig Ärger zu mach’n, damit uns später ein viel größeres Unheil erspart bleibt.“
„Du hattest also dieselben Visionen wie ich, und du hast sie einfach ignoriert?“
„Ich habe Lösungen für diesen Ärger gefund’n.“
„Und bin ich auch so eine Lösung?“
„Du bist mehr als eine Lösung, Vol’jin.“ Sie beugte sich vor und senkte die Stimme. „Du hast viel zu biet’n, und deine Belohnung wird deinen Diensten in nichts nachsteh’n. Gerade eben, zum Beispiel, hat uns deine kleine Truppe gezeigt, dass wir nicht geg’n Pfeile gefeit sind, bloß weil wir Zandalari sind. Wichtiger noch, ihr habt die Mogu daran erinnert, wie tödlich ihre einstig’n Diener sein können. Dass wir sie gefangen genomm’n haben, hat uns einen Pluspunkt bei ihnen eingebracht. Also noch einmal danke dafür!“
Der Dunkelspeer lehnte sich zurück. „Wenn ich ein so großer Gewinn bin, musst du dann nicht Angst hab’n, dass dein Meister dich aus dem Weg räumt, um mir deinen Posten zu geb’n?“
„Nein. Er fürchtet dich. Er hat nicht das Rückgrat, das du gezeigt hast, als du die Bitte des Königs ablehntest. Er wird also weiter auf mich vertrauen, damit ich dich unter Kontrolle halte.“ Sie lächelte schüchtern. „Und ich brauche keine Angst davor zu haben, dass du mich betrügst, denn ich werde dich dadurch unter Kontrolle halt’n, dass ich deine Freunde kontrolliere. Du hast recht, ich weiß, wer Chen Sturmbräu ist. Den Menschen kenne ich zwar nicht, aber dein Respekt vor ihm ist offensichtlich.“
„Du sprichst von Vertrauen, aber trotzdem willst du mich erpress’n?“
„Nein, ich möchte nur nicht, dass du etwas Überhastetes tust, bevor du Gelegenheit hattest, über mein Angebot nachzudenk’n. Ich weiß, du hast dich in der Vergangenheit geweigert, dich uns anzuschließen, und du hast dich Garroshs Diktat widersetzt. Du hast Prinzipien, und das ist eine wundervolle Eigenschaft. Eine, die ich sehr schätze.“ Sie stellte ihre Tasse beiseite und kniete vor ihm, die geöffneten Hände in ihrem Schoß. „Falls du dich uns anschließt und uns deine volle und freiwillige Unterstützung zusicherst, werde ich deine Gefährt’n freilassen.“
„Und du wirst ihnen keine Jäger hinterherschick’n wie den anderen?“
„Würden wir hier um ihre Sicherheit feilsch’n, hätte niemand sie verfolgt.“ Sie hob die Hand. „Aber wie gesagt, du sollst diese Entscheidung nicht gleich treffen. Deine Begleiter werden gut behandelt – sie werden nicht denselb’n Luxus genießen, den ich dir biete, aber es wird ihnen an nichts fehl’n.“ Khal’ak lächelte. „Und morgen wirst du aus erster Hand erleb’n, was die Mogu zu unserem Bündnis beisteuern. Sobald du das geseh’n hast, wirst du erkennen, dass mein Angebot äußerst großzügig ist und du ernsthaft darüber nachdenk’n solltest.“
Ihre Unterhaltung wandte sich banaleren Themen zu. Vol’jin war sicher, hätte er es darauf angelegt, hätte sie mit ihm geschlafen. Vielleicht hätte sie derartige Intimität als weitere Möglichkeit in Betracht gezogen, ihm diese Zusammenarbeit schmackhaft zu machen – aber nur, wenn sie ihn für einen Narren gehalten hätte. Sie wusste, dass er zu intelligent dafür war, und wenn er mit ihr ins Bett ginge, würde sie auch wissen, dass er sie nur glauben machen wollte, er wäre leicht zu manipulieren. Sie würde einem solchen Versuch misstrauen, und sie würde ihm misstrauen.
Indem er sich zurückhielt, gewann Vol’jin andererseits eine gewisse Macht über sie. So fähig sie auch sein mochte, war sie doch augenscheinlich in ihn vernarrt. Wie sonst hätte sie Jahre später noch die Form seines Fußabdrucks im Sand erkannt? Sie wollte mit ihm schlafen, und sei es nur, um die Jahre des Interesses an ihm zu rechtfertigen.
Das konnte er nutzen, ganz gleich, ob er letzten Endes auf das Angebot einging oder nicht.
Sie sprachen noch eine ganze Weile, dann legten sie sich unter dem offenen Himmel im Hof schlafen. Als die ersten Vorboten des Morgengrauens das Firmament über ihm erhellten, erwachte Vol’jin wieder. Er fühlte sich kaum ausgeruht, aber auch nicht erschöpft; nervöse Energie machte seinen Schlafmangel wett.
Nachdem sie ein schlichtes Frühstück aus geräuchertem Goldkarpfen und süßen Reiskuchen zu sich genommen hatten, kümmerten sich die Bediensteten erneut um ihre körperlichen Bedürfnisse, anschließend stiegen sie auf zwei Raptoren und machten sich wieder nach Südwesten auf. Khal’ak sagte kein Wort während des Ritts, aber so, wie der Wind mit ihrem Haar und ihrem Umhang spielte, gab sie einen atemberaubenden Anblick ab. In diesem Moment sah Vol’jin sie genauso, wie die Zandalari sich selbst sahen. Er verstand nun über jeden Zweifel hinaus, warum sie zurückzufordern versuchten, was sie einst verloren hatten. Zu wissen, wie tief man gefall’n ist, und zu fürchten, dass man dies’n Ausgangspunkt nie wieder erreicht, das frisst einen von innen heraus auf.
Sie hielten auf einen hohen Berg mit steilen Hängen zu und umrundeten ihn. Die Gebäude hier waren zerfallen, doch nicht durch den natürlichen Alterungsprozess. Der Krieg hatte sie vor langer Zeit zerstört. Blut und Ruß waren vom Wetter hinfortgespült worden, die goldenen Pflanzen hatten Knochen und Trümmer unter sich begraben, doch die Überreste der Steinbögen kündeten noch immer von der Gewalt, die sie einst zerschmettert hatte.
Trotz dieser Spuren der Verwüstung und obwohl das Licht des Tages gedämpft war, machte die Erhabenheit Pandarias selbst diesen Ort wunderschön. Als sie die Straße zwischen den Bergen hinaufritten, hatte Vol’jin das Gefühl, er wäre schon einmal hier gewesen, aber vielleicht lag es auch nur daran, dass seine Zeit in Orgrimmar ihm einen ziemlich guten Eindruck davon verschafft hatte, wie mächtig diese Bauwerke einst gewesen waren. Die Dunkelspeere gaben sich mit bescheidenen, zweckdienlichen Unterkünften zufrieden, doch andere, das wusste er, verspürten den Zwang, ihre Überlegenheit durch gewaltige Bauten zu beweisen. Er hatte von den riesigen Statuen in Eisenschmiede und Sturmwind gehört, und er war sicher, dass an diesem Ort auf ganz ähnliche Weise der Vergangenheit der Mogu gedacht worden war.
Die Mogu enttäuschten ihn nicht.
Als die Straße sie auf eine Öffnung in der Bergwand zuführte, erhaschte er einen Blick auf eine gewaltige graue Statue auf einem bronzenen Sockel. Sie stellte einen Mogu-Krieger dar, der hoch aufgerichtet dastand, die Hände auf dem Griff eines mächtigen Streitkolbens. Selbst wenn man die Waffe auf normale Proportionen geschrumpft hätte, wäre nicht einmal Garrosh in der Lage gewesen, sie zu schwingen. Auch wenn das gleichgültige Gesicht der Statue keinen Anhaltspunkt auf die Persönlichkeit des dargestellten Mogu zuließ, kündete dieser Streitkolben doch von Macht, Grausamkeit und dem Verlangen, jeglichen Widerstand zu zerschmettern.
Khal’ak und Vol’jin betraten die Gruft nicht, denn in der Ferne kam ihnen mit gemessenen Schritten eine Parade entgegen. Zandalari-Truppen, von deren Speeren Wimpel flatterten, führten diese Prozession an, dahinter kamen, auf einem eleganten, von Kodos gezogenen Pandaren-Wagen stehend, drei Mogu, flankiert von einem halben Dutzend weiterer Trolle. Ihnen folgte ein kleinerer Wagen mit zwölf Zandalari-Hexendoktoren, und zwischen ihnen und den Zandalari-Truppen, die den Abschluss des Zuges bildeten, rollte ein klappriger Wagen dahin, auf dem Chen, Tyrathan, die drei Mönche und vier Menschen, allesamt männlich, saßen. Holz knirschte, und die Zugtiere schnauften, während ihre donnernden Hufschläge den Boden erzittern ließen.
Als die Prozession vor der Gruft zum Stillstand kam, gingen die Schamanen zu den Gefangenen und drängten sie ins Innere, anschließend folgten ihnen die Zandalari und ihre Mogu-Gastgeber. Khal’ak bellte dem Hauptmann, der die übrigen Truppen anführte, einen Befehl zu, woraufhin seine Soldaten sich aufteilten, um Verteidigungsstellungen zu errichten. Die Zandalari selbst betraten derweil mit Vol’jin die Düsternis der Gruft.
Einer der Mogu – hätte Vol’jin einen Tipp abgeben müssen, hätte er ihn als Geistfetzer eingeschätzt – deutete mit zwei Fingern auf die Gefangenen, und die Hexendoktoren brachten Dao und Shan nach vorne und bugsierten sie links und rechts an die Ecken des Statuensockels. Als der Mogu noch einmal die Hand hob, wurden zwei Menschen an die beiden hinteren Ecken geschubst.
Vol’jin verspürte Scham für Tyrathan. Die Pandaren-Mönche hielten den Kopf hoch erhoben, als die Zandalari sie zu ihren Positionen führten. Sie wehrten sich nicht und versuchten nicht, zurückzuweichen. Eine Aura stiller Würde umgab sie, als würden sie gar nicht darüber nachdenken, was nun, wie sie sehr wohl wussten, mit ihnen geschehen würde. Die Menschen hingegen heulten und schrien und mussten zur Statue hinübergezerrt werden. Das mochte daran liegen, dass sie kein inneres Gleichgewicht hatten, oder daran, dass sie sich jäh ihrer Sterblichkeit bewusst wurden. Einer von ihnen konnte nicht einmal mehr stehen und musste von zwei Zandalari aufrecht gehalten werden, ein anderer wimmerte vor sich hin und nässte sich ein.
Khal’ak drehte sich halb zu Vol’jin herum und flüsterte. „Ich wollte die Mogu davon überzeug’n, dass sie nur Menschen brauchen, aber nachdem sie gesehen hatten, wie die Shado-Pan kämpften, wollten sie unbedingt auch Pandaren. Ich konnte sie zwar überred’n, Chen und deinen Menschen zu verschonen, aber …“
Der Troll nickte. „Ein Anführer muss unangenehme Entscheidungen treff’n.“
Der Mogu-Geistfetzer trat zu Bruder Dao an die vordere linke Ecke der Statue. Mit einer Hand riss er den Kopf des Mönchs nach hinten, sodass die Kehle des Pandaren bloßlag, dann hob er die andere Hand und stieß eine Klaue in den Hals seines Opfers. Die Wunde war nicht tödlich, kaum mehr als ein lästiger Stich, und als der Mogu die Hand zurückzog, glänzte ein schwerer Tropfen Pandaren-Blut daran.
Der Geistfetzer streifte diesen Tropfen an der Ecke des Bronzesockels ab, woraufhin eine kleine Flammenzunge aufloderte. Nach einem Moment schrumpfte sie zu einer winzigen, blau flackernden Flamme zusammen.
Nun wandte der Mogu sich dem Menschen an der hinteren Ecke zu, und als ein Tropfen seines Blutes den Sockel berührte, schoss ein kleiner Geysir aus Wasser nach oben. Als er verging, blieb eine kleine Pfütze zurück, deren Oberfläche sich im Rhythmus der tanzenden Flamme kräuselte.
Jetzt war der zweite Mensch an der Reihe. Sein Blut rief einen winzigen Zyklon hervor. Zunächst war er rötlich verfärbt, dann konnte man ihn nicht mehr sehen, und nur das Flattern der schmutzigen Robe, die der Mensch trug, kündete davon, dass er noch da war. Dieses Flattern passte sich dem Kräuseln der Pfütze an.