Zu guter Letzt kam der Geistfetzer zu Bruder Shan. Der Mönch hob von sich aus den Kopf und entblößte seinen Hals, und nachdem der Mogu sein Blut auf die Bronze gestrichen hatte, gab es eine vulkanische Eruption, und Vol’jin war sich sicher, dass sie durch Shans Zorn noch verstärkt wurde. Die geschmolzene Erde beruhigte sich jedoch nicht wieder, sondern floss weiter, näherte sich in schmalen Linien der Pfütze und dem Zyklon.

Luft, Feuer und Wind breiteten sich nun ebenfalls aus, und wo sie einander berührten, rangen sie verbittert miteinander. Die Gewalt dieser Zusammenstöße stieg in halb durchsichtigen, schillernden Machtentladungen nach oben, zur Decke hinauf, sodass sie die Statue wie Wände einhüllten. Lauter Donner grollte, dann zeigten sich Risse im Stein, gewaltige Klüfte, so tief und breit wie die auf den Gebäudetrümmern draußen. Sie breiteten sich aus wie die Wurzeln eines Baumes, und nach Vol’jins Schätzung würde die gesamte Höhle zehn Fuß hoch unter Geröll begraben, sollte die Statue auseinanderbrechen.

Hoch genug, um uns alle zu verschling’n.

Doch die Statue brach nicht auseinander. Die Energielinien sanken wieder nach unten und glitten in die Risse. Ein paar Herzschläge lang sammelten sie sich im Zentrum des Bildnisses, dort, wo sich das Herz des Mogu befunden hätte. Sie pulsierten, zwei-, vielleicht auch viermal, dann strömte die Energie durch unsichtbare Venen nach außen. Ein rötlicher Hauch überzog die gesamte Statue, und unter seinem Schillern knirschte und barst der Stein. Es war, als würde dieser Schimmer unglaublichen Druck auf die Statue ausüben, wie ein Mühlstein, der das Standbild zu Staub zermahlte.

Doch dank der unsichtbaren Energie behielt die Statue ihre Form bei.

Plötzlich zuckte eine ätherische Ranke von einem Knöchel und einem Handgelenk vor. Es sah aus wie Nebel, und es schlang sich um Bruder Daos Gesicht. Der Mönch hatte den Kopf in den Nacken geworfen, um zu schreien, sodass der Dunst in seinen Körper strömen konnte. Einen Augenblick später hatte das Schillern den Pandaren völlig eingehüllt – und dann zerquetschte es ihn wie eine Traube.

Der Brei, der einmal Bruder Dao gewesen war, wurde nun durch die Ranken nach oben gesaugt, und erst als dieses schaurige Spektakel vorüber war, fiel Vol’jin auf, dass auch die drei anderen verschwunden waren. Das Glühen kehrte auf das Bildnis zurück, und diesmal wurde es heller. Es pulsierte und verstärkte sich, und zwei Punkte leuchteten ganz besonders grell, dort, wo sich die Augen der Statue befunden hatten.

Nun zog sich die Magie zusammen, begleitet von einem Kräuseln und mehreren knackenden und knirschenden Geräuschen. Als das Licht sich noch verstärkte, flammte Hitze auf, aber nur, um abrupt wieder zu vergehen. Der leblose Stein presste sich selbst in die Form mächtiger Muskeln, und sie bewegten sich unter einer schwarzen Haut, als das Leuchten selbst sich wieder in die Statue zurückzog. Das Fleisch entlang der gezackten Risse, wo der Stein zerbrochen war, verheilte, ohne dass Narben zurückblieben, und dann stand ein unvergleichlicher Mogu-Krieger, nackt und unbesiegbar, auf dem bronzenen Sockel.

Die beiden anderen Mogu eilten jetzt ebenfalls nach vorne, um mit dem Geistfetzer vor diesem Wesen mit gebeugten Köpfen auf die Knie zu fallen. Einer von ihnen hielt der Kreatur einen schweren goldenen Mantel mit schwarzem Besatz hin, der andere einen goldenen Amtsstab. Der Mogu aus der Statue nahm erst den Stab, dann stieg er auf den Boden hinab und ließ sich von den anderen einkleiden.

Vol’jin studierte das Gesicht der Kreatur. Hätte man ihn nach Jahrtausenden aus dem Schlaf erweckt, dann wäre er während dieser ersten Augenblicke vermutlich etwas verunsichert, bis er begriffen hätte, was geschehen war. Doch alles, was er in den Augen des Kriegsfürsten sah, war ein Flackern von Verachtung, als er die Zandalari sah, und purer Hass ob der Gegenwart der Pandaren.

Er machte einen Schritt auf die Stelle zu, wo Chen und Bruder Cuo standen, doch Jahrhunderte des Todes hatten seine Bewegungen ein wenig verlangsamt, sodass Khal’ak Gelegenheit hatte, sich zwischen ihm und den Gefangenen aufzubauen. Als Vol’jin an ihre Seite trat, einen Schritt hinter ihr, erkannte er, dass sie mit einer solchen Eventualität gerechnet haben musste; sie hatte den Punkt, von dem aus sie der Zeremonie beigewohnt hatten, jedenfalls ganz bewusst gewählt.

Nun verbeugte sie sich, ging aber nicht auf die Knie. „Kriegsfürst Kao, ich heiße Euch im Namen von General Vilnak’dor willkomm’n. Er erwartet Euch auf der Insel des Donnerkönigs, wo er Eurem wiedererwachten Meister Gesellschaft leistet.“

Der Mogu musterte sie von Kopf bis Fuß. „Ein paar Pandaren zu töten, wird nicht viel Zeit kosten, und es wird meinen Meister erfreuen.“

Khal’ak deutete mit der offenen Hand auf Vol’jin. „Der Schattenjäger Vol’jin von den Dunkelspeeren möchte diese beiden Eurem Meister zum Geschenk machen. Falls Ihr Pandaren töten wollt, kann ich während der Reise eine Jagd arrangieren. Aber diese beiden sind bereits einem anderen versproch’n.“

Kao und Vol’jin blickten einander an. Der Kriegsfürst begriff sehr wohl, was hier gespielt wurde, aber er schien nicht bereit, sich im Moment damit zu befassen. Der Hass, der in seinen dunklen Augen brannte, zeigte dem Troll jedoch, dass Kao seine Rolle bei dieser Posse weder vergeben noch vergessen würde.

Der Mogu nickte. „Ich will einen Pandaren für jedes Jahr töten, das ich im Grab verbracht habe, und zwei für jedes Jahr, das mein Meister im Tod gefangen war. Triff die nötigen Vorbereitungen, Trollweib. Es sei denn, dein Schattenjäger hat meinem Meister noch mehr von diesen Biestern versprochen.“

Vol’jins Augen wurden schmal. „Kriegsfürst Kao, dann müsstet Ihr Tausende und Abertausende Pandaren töten. Euer Reich war auf die Dienste der Pandaren angewies’n. Was ihr wollt, mag gerechtfertigt sein, aber das Ergebnis wäre tragisch. Viel hat sich verändert, mein Fürst.“

Kao schnaubte und stampfte zu den anderen Mogu hinüber, die bei den Zandalari-Würdenträgern standen.

Khal’ak atmete vorsichtig aus. „Das war schlau.“

„Ebenso schlau, wie es von dir war, sein Handeln vorauszuseh’n.“ Vol’jin schüttelte den Kopf. „Aber er wird trotzdem die Leb’n von Chen und Cuo fordern.“

„Ich weiß. Den Mönch muss ich ihm wahrscheinlich geb’n. Die Mogu hassen die Shado-Pan aus den tiefsten Tiefen ihrer schwarzen Seelen. Ich werde aber jemand’n finden, um Chens Platz einzunehmen. Für die Mogu sehen die Pandaren ohnehin alle gleich aus.“

„Falls er diesen Verrat bemerkt, würde er dich töt’n lassen.“

„Genau wie dich und Chen und deinen Menschen.“ Khal’ak lächelte. „Ob es dir gefällt oder nicht, Vol’jin von den Dunkelspeeren, unser Schicksal ist nun untrennbar miteinander verwob’n.“


25

„Was für mich einige Unannehmlichkeiten bedeutet. Aber das lässt sich wohl nicht vermeid’n.“

Khal’ak drehte sich zu ihm herum, während Soldaten die Gefangenen nach draußen führten und sie dort wieder auf den Karren luden. „Wie meinst du das?“

„Kao ist wütend, und dein Meister fürchtet mich. Falls ich einfach so auf diese Insel des Donnerkönigs reise, wird das ihre Gefühle nur noch verstärk’n.“ Vol’jin zog die Schultern hoch. „Du wirst demonstrier’n müssen, dass du noch immer Kontrolle über mich hast. Ich bin ein Gefangener, und genauso sollte ich auch behandelt werd’n.“

Sie dachte einen Moment darüber nach, dann nickte sie. „Außerdem bist du dann in der Nähe deiner Freunde und kannst dich um sie kümmern.“

„Ich hoffe, dass jede Großzügigkeit, die man mir gewährt, auch ihnen zuteilwird.“

„Ich werde euch alle in Kett’n legen lassen. Aber für dich sollen es Fesseln aus Gold sein.“

„Damit kann ich leb’n.“

Sie streckte die Hand aus. „Dein Dolch.“

Vol’jin lächelte. „Natürlich. Sobald wir zurückgeritten sind.“

„Natürlich.“

Vol’jin genoss seine Freiheit, während sie zu Khal’aks Unterkunft ritten. Die Wolken hatten sich aufgehellt, als wären sie beschämt, dass sie nicht mit Kaos Dunkelheit mithalten konnten, und das Tal erstrahlte einmal mehr in seinem goldenen Glanz. Wäre ich Jahrhunderte in einer Gruft gefang’n, würde ich auch gerne an einem solchen Ort wieder erwach’n.

Er durfte bei Khal’ak in ihrem Palast bleiben, und genau wie sie es versprochen hatte, ließ sie goldene Fesseln holen, die durch eine Kette dicker Glieder verbunden waren. Sie waren schwerer als Eisen, ließen ihm aber genug Spielraum, um sich ungehindert bewegen zu können. Zudem gestattete seine Gastgeberin ihm große Freiheiten, und sie verzichtete sogar darauf, ihm eine Wache an die Seite zu stellen. Sie wussten schließlich beide, dass er nicht versuchen würde zu fliehen; nicht, solange Chen und Tyrathan mit den anderen Gefangenen eingesperrt waren.

Sie nutzten die Zeit, um sich auf konstruktive Weise über die bevorstehende Eroberung Pandarias zu unterhalten, und dabei erfuhr Vol’jin, dass es Khal’aks Entscheidung gewesen war, bei der Einnahme von Zouchin auf den Einsatz von Goblin-Kanonen zu verzichten, obwohl Vilnak’dor das anders gesehen und eine Invasion mit Geschützen und Schließpulver gefordert hatte. In ihren Augen war das ein Zeichen von Schwäche. Aber da die Mogu mit diesen Mitteln in der Vergangenheit große Erfolge gefeiert hatten, war ihr Meister überzeugt, so ihren Verbündeten Respekt zollen zu können.

Wie sich außerdem zeigte, hatten die Mogu seit dem Untergang ihres Reiches wohl doch ein wenig mehr getan, als nur ihren Tagträumen nachzuhängen. Nach Khal’aks Ansicht war zwar nur das wenigste davon hilfreich, und sie waren noch immer unorganisiert, aber sie hatten sich zumindest vermehrt. Der Plan für ihre Invasion war reichlich simpel: Die Mogu-Truppen würden, unterstützt von den Zandalari, das Herzland von Pandaria sichern. Sie schienen zu glauben, dass dann alles wieder so werden würde wie früher, so wie die Steine auf einem Jihui-Brett wie durch Zauberhand wieder in ihre Ausgangspositionen rückten.

Khal’ak glaubte, dass die Zandalari das eroberte Land noch eine Weile schützen müssten, bis die Mogu sich endlich organisiert hätten. Anschließend würden sie gegen die Allianz oder die Horde losschlagen, sie vernichten und sich danach der anderen Fraktion zuwenden. Die Mantid im Westen waren schon immer ein Problem gewesen, darum wollte man sie als Letzte ausmerzen. Wäre das erledigt, würde das Mogu-Imperium seine Magie einsetzen, um die Zandalari bei ihrem eigenen Eroberungszug zu unterstützen, der ihnen erst Kalimdor und dann die andere Hälfe des zerrissenen Kontinents einbringen würde.

Am nächsten Morgen brachen sie wieder auf, diesmal aber schon in aller Frühe. Die nächtlichen Festivitäten am Mogu’shan-Palast waren gedämpft gewesen, denn jeder fürchtete den Zorn des Kriegsfürsten Kao, und keiner wollte seinen Unwillen auf sich ziehen, indem er zu lange schlief. Man gestattete Vol’jin, einen Raptor zu reiten, aber nur so, dass seine goldenen Ketten weithin sichtbar waren. Chen, Cuo, Tyrathan und die anderen Gefangenen wurden in Karren transportiert, und der Schattenjäger sah nur wenig von ihnen, bis sie schließlich Zouchin erreichten und er gemeinsam mit ihnen auf ein kleines Schiff gebracht wurde. Man führte sie in eine Kabine unter Deck, deren Tür anschließend von außen verriegelt wurde.


Seine drei Gefährten waren schmutzig von der Reise und bluteten dank der Zuwendung ihrer Wachen, aber sie lächelten dennoch, als Vol’jin sich hinter ihnen durch die Tür duckte. Chen klatschte in die Pfoten. „Das sieht dir ähnlich: ein Gefangener mit goldenen Ketten.“

„Es sind trotzdem Kett’n.“ Vol’jin verbeugte sich vor Cuo. „Ich bedaure den Verlust deiner Brüder.“

Der Mönch erwiderte die Geste. „Ich bin dankbar für deinen Mut.“

Tyrathan blickte zu ihm auf. „Wer ist die Frau? Warum …?“

„Wir werd’n später noch Zeit haben, darüber zu red’n. Jetzt habe ich erst einmal eine Frage an dich, mein Freund. Und ich brauche eine ehrliche Antwort. Es ist wichtig.“

Der Mensch nickte. „Nur zu.“

„Hat Chen dir erzählt, was ich dem Mensch’n sagte, den wir befreit haben?“

„Dass ich tot sei und dass du mich getötet habest? Ja.“ Tyrathan lächelte halbherzig. „Schön, zu wissen, dass es eines der besten Krieger der Horde bedurfte, um mich umzubringen. Aber das ist wohl kaum die Frage, die ich dir beantworten soll, oder?“

„Nein.“ Vol’jin runzelte die Stirn. „Der Mensch wollte wissen, wo du bist. Er war voller Furcht, aber auch voller Hoffnung. Er wollte, dass du noch lebst und ihn rettest, aber er hatte auch Angst davor. Warum?“

Kurz schwieg Tyrathan und kratzte mit einem dreckigen Fingernagel den Schmutz unter einem anderen hervor. Er blickte nicht auf, als er den Mund wieder öffnete. „Du warst am Schlangenherz in meinem Körper, als der Sha des Zweifels mich mit seiner Energie berührte. Du hast den Mann gesehen, der mir meine Befehle gab. Nun, der Mensch, den du gerettet hast, war Morelan Vanyst, sein Neffe. Mein Vater war vor mir ein Jäger, so wie sein Vater vor ihm, und wir standen schon seit Urzeiten im Dienst der Vanyst-Familie. Bolten Vanyst, mein Herr, ist ein arroganter Geck und seine Frau ein intriganter alter Drachen. Darum gefällt es ihm auch so gut in Sturmwind – wann immer es einen Feldzug gibt, kann er ihr entfliehen. Nicht, dass er nicht auch selbst Ränke schmieden würde. Er hat nur drei Töchter, und jede ist mit einem ehrgeizigen Mann verheiratet, der sich Hoffnungen auf Boltens Land macht und sich darum bei ihm einschmeichelt. Doch wenn er aus der Stadt ist, hat Morelan das Sagen.“

Vol’jin sah, wie bei diesen Worten Emotionen über das Gesicht des Menschen huschten. Stolz leuchtete hell in seinen Augen, als er vom treuen Dienst seiner Familie sprach, nur um von Abscheu verschluckt zu werden, als er die Intrigen in der Familie seines Herrn beschrieb. Tyrathan hatte offensichtlich sein Bestes getan, diesem Herrn zu dienen, doch eine Person wie Bolten Vanyst war nie wirklich zufriedenzustellen, und man konnte ihr nie wirklich vertrauen. Insofern war er Garrosh gar nicht unähnlich.

„Jeden anderen hätte der Sha des Zweifels von innen heraus zerrissen. Er hätte sie hinterfragen lassen, ob sie überhaupt wert sind zu leben. Sie hätten an ihrem eigenen Verstand und ihren Erinnerungen gezweifelt. Der Sha hätte sie überzeugt, dass jede Entscheidung, die sie treffen könnten, falsch wäre, und sie hätten sich im selben Herzschlag selbst zerstört. So wie ein Maultier, das man zwischen zwei gleichermaßen appetitlichen Strohhaufen anbindet, würden sie inmitten des Überflusses verhungern, weil sie sich einfach nicht für eine Sache entscheiden könnten.“

Nun hob der Mensch zu guter Letzt den Blick. Müdigkeit hatte seine Schultern gebeugt und die Falten eines ganzen Lebens in sein Gesicht gegraben. „Doch zu mir kam der Sha des Zweifels als Kerze in der dunkelsten Stunde meines Lebens. Ich zweifelte bereits an jedem, und in diesem Moment sah ich die Wahrheit. Über alles.“