Yalia machte einen Schritt auf ihn zu und legte ihre Arme um seinen Hals. „Vielleicht bin ich dann selbstsüchtig. Denn ich möchte mehr, Chen. Ich möchte eine Ewigkeit mit dir.“
„Die werden wir haben, Yalia Weisenwisper.“ Er zog sie an sich heran und hielt sie fest in den Armen. „Wir sind bereits unsterblich. Unsere Bilder mögen eines Tages aus den Knochen des Berges fallen, aber bevor man uns vergisst, wird der Berg selbst in sich zusammenfallen. Barden werden Lieder über uns singen. Maler von hier bis Orgrimmar und wieder zurück werden unsere Bilder auf die Leinwand bannen. Und noch in Jahrtausenden werden Braumeister behaupten, dass sie mein geheimes Rezept für das Gebräu haben, das den Dreiunddreißig zum Sieg verhalf. Vermutlich werden sie es sogar so nennen: Dreiunddreißig.“
„Und wir werden auf ewig in ihren Erinnerungen vereint sein?“
„Es wird keinen Jungen in Pandaria geben, der nicht seine Yalia sucht und den Göttern dankt, wenn er sie gefunden hat. Und die Mädchen werden glücklich sein, wenn sie ihren rastlosen Chen zähmen.“
Yalia löste sich von ihm und zog die Braue hoch. „Denkst du, dass ich das so sehe?“
Er küsste sie auf die Nasenspitze. „Nein. Du hast deinen Frieden mit mir geteilt. Du bist der Anker und das Meer. Und jeder Junge, der seine Yalia findet und in den Genuss dieser Dinge kommt, sollte sich besser für den glücklichsten Pandaren der Welt halten.“
Sie küsste ihn auf den Mund, so leidenschaftlich, so innig, dass es ihm den Atem raubte. Er presste sie in einer starken Umarmung an sich und streichelte ihren Hinterkopf, während ihre Lippen sich berührten. Es war ein Moment, von dem er sich wünschte, er möge nie zu Ende gehen; und ein Moment, von dem er sich wünschte, dass die Künstler und Barden ihm wirklich gerecht wurden.
Als sie sich diesmal von ihm löste, legte Yalia den Kopf auf seine Schulter. „Ich wünschte, unsere Kinder könnten nach ihrem Chen und ihrer Yalia suchen.“
„Ich weiß.“ Er strich ihr über das Fell. „Ich weiß. Aber ich finde Trost in dem Gedanken, dass viele andere Kinder sich auf diese Suche machen werden.“
Sie nickte stumm und behielt ihren Kopf noch ein wenig länger auf seiner Schulter, dann ließen sie voneinander ab und machten sich wieder auf den Weg den Berg hinauf. Dabei legten sie noch weitere Fallen, um den Liedern, die dereinst über sie gesungen werden mochten, noch weitere Verse hinzuzufügen und um den Zandalari eine Lektion zu erteilen, die sie schon längst hätten lernen müssen.
„Die Mogu könnten bis in alle Ewigkeit such’n, und sie würden trotzdem nicht alle Pfeile find’n, die du versteckt hast.“ Vol’jin verschränkte die Arme vor der Brust, als der Mensch sich neben ihm aufrichtete. „Das muss jetzt doch bestimmt einer für jeden Soldat’n auf der Insel sein.“
„Und zwei für jeden Offizier.“ Tyrathan zuckte mit den Schultern. „Außerdem habe ich nicht nur Pfeile versteckt. Da sind auch Messer und Schwerter und Stöcke und Bögen. Draußen habe ich schwerere Bögen platziert, perfekt für lange Pfeile, um weiter entfernte Ziele zu treffen, und hier drinnen kleinere Bögen für kürzere Pfeile, mit denen man sich auch auf geringe Distanz verteidigen kann.“
Vol’jin blickte sich am Schrein des Weißen Tigers um. „Falls wir uns hierher zurückfall’n lassen müssen …“
„Du meinst, wenn …“ Der Mann klopfte auf die steinerne Schulter einer Statue, die einen sitzenden Tiger darstellte. „Und wenn es so weit ist, wirst du froh sein, zu wissen, dass ein halbes Dutzend Wurfmesser um seinen Schwanz gebunden sind.“
„Und dass da oben ein Schwert hängt, wo ich es erreich’n kann, aber du nicht.“
„Vergiss nicht, du hast mir versprochen, den Kerl zu erledigen, der mich erwischt. Ich will nur sichergehen, dass du auch das nötige Werkzeug hast, um dieses Versprechen einzulösen.“
„Das habe ich.“ Vol’jin griff nach hinten und zog seine neue Gleve hervor, die er sich über den Rücken geschnallt hatte. „Bruder Cuo hat dafür viel Schweiß in der Schmiede vergoss’n. Chen hat ihm die Waffe beschrieb’n, die ich normalerweise trage, und nach diesen Instruktionen hat Cuo etwas zusammengebastelt, das sich für den Kampf gegen die Zandalari eignet.“
„Ja, er redet immer nur vom Kämpfen. Als ob das nicht dasselbe wäre wie Töten.“
Vol’jin nickte. „Diese Unterscheidung schenkt ihm Seelenfried’n.“
Tyrathan betrachtete die Waffe eingehend und lächelte. „Er hat die Klingen länger gemacht und ihnen einen gemeinen Schwung verpasst. Egal, welche Seite du benutzt, du wirst damit ausgezeichnet zuschlagen und -stechen können. Aber der Griff scheint mir ein wenig dicker zu sein.“
„Ja. Ein einzelner Erl läuft durch die ganze Länge des Griffs.“ Vol’jin zog die Gleve aus ihrer Hülle und wirbelte sie so schnell durch die Luft, dass die Klinge pfiff. „Perfekt ausbalanciert. Er meinte, er hätte sie an meinen Unterarm angepasst. Sie passt jedenfalls besser zu mir als die Waffe, die ich verlor’n habe.“
„Ein Pandaren-Mönch, der eine traditionelle Trollwaffe schmiedet.“ Der Mensch schmunzelte. „Die Welt, wie wir sie kannten, hat sich verändert.“
„Sein Werk ist ebenso bemerkenswert wie ein Troll und ein Mensch, die zusammenarbeit’n, um ein fremdes Volk vor der Versklavung zu schütz’n.“
„Wir sind beide tot. Auf uns treffen die Regeln nicht mehr zu.“
„Ich glaube, ich gewöhne mich an die menschliche Zungenfertigkeit.“ Vol’jin steckte die Gleve zurück in die Hülle. „Wir Trolle halten uns mit Bemerkung’n zurück, weil wir ein anderes Temperament hab’n. Wir geb’n den Dingen mehr Zeit.“
Tyrathan warf ihm einen Blick zu. „Willst du mir sagen, es war nicht schlagfertig, als du Garrosh gedroht hast, ihn zu töten?“
„Es war voreilig, ja. Aber egal, wie lange ich darüber nachgedacht hätte, es hätte nichts an meinen Gefühl’n oder meiner Wortwahl geändert.“ Der Troll breitete die Arme aus. „Selbst wenn ich gewusst hätte, wozu es führt, hätte ich es trotzdem gesagt. Ich werde hier nicht ohne Bedauern sterb’n, aber so ist zumindest nichts dabei, was ich mir nicht verzeih’n könnte.“
Der Mensch lächelte trocken. „Ich bedaure, dass ich mein Versprechen nicht halten kann, noch einmal meine Heimat zu sehen, aber jetzt ist das hier meine Heimat. Und ich freue mich schon darauf, sie als Geist in alle Ewigkeit zu durchstreifen.“
Vol’jin blickte sich um. „Das hier ist nicht wirklich die Art von Gruft, die mir vorgeschwebt hat. Aber die Zandalari werd’n uns vermutlich ohnehin nicht begrab’n.“
„Und die Mogu werden nicht eher ruhen, bis dieser Tempel abgerissen ist. Sie werden alle Steine ins Meer werfen, und an uns werden sich die Geier satt fressen, bevor man unsere Knochen zu Staub zermahlt und in alle Winde verstreut.“ Tyrathan zog die Schultern hoch. „Wenn eine günstige Brise weht, schaffe ich es vielleicht doch zurück zu den Bergen meiner Heimat.“
„Dann will ich auf gute Winde hoff’n.“ Vol’jin ging in die Hocke und fuhr mit einem Fingernagel eine Ritze zwischen den Bodenplatten nach. „Tyrathan Khort, ich wollte dir etwas sag’n …“
„Nein.“ Der Mensch schüttelte den Kopf. „Keine Verabschiedungen. Kein Lebewohl. Kein Schlusspunkt. Denn dann würde ich glauben, dass ich alles gesagt hätte, was zu sagen ist, und dann würde ich früher aufgeben. Der Wunsch, dir noch einen Ratschlag zu geben oder dein Lachen zu hören, wenn du eines meiner Schwerter findest, oder den Ausdruck auf deinem Gesicht zu sehen, wenn mein Pfeil einen Feind tötet, der dir gerade die Kehle durchschneiden wollte – das wird mich antreiben. Wir wissen beide, dass wir keine Zukunft haben. Aber wir können eine weitere Minute haben oder einen weiteren Herzschlag, und selbst das wäre genug Zeit, um einen weiteren Gegner zu töten. Sie nehmen mir meine Zukunft, ich nehme ihnen die ihre. Ein gerechter Tausch, auch wenn ich meine Haut teuer verkaufen werde.“
„Ich verstehe, und ich stimme dir zu.“ Der Troll nickte. „Hast du dasselbe getan wie die anderen? Chen hat seiner Nichte einen Brief geschrieb’n und …“
Der Mann blickte auf seine leeren Hände hinab. „Ob ich meiner Familie geschrieben habe? Nein. Nicht direkt zumindest. Ich habe Li Li eine kurze Nachricht geschickt und sie gebeten, sich mit meinen Kindern anzufreunden, sollten ihre Wege sich jemals kreuzen. Sie soll ihnen nicht sagen, warum, soll mich überhaupt nicht erwähnen. Hast du jemandem geschrieben?“
„Ein paar Nachrichten, ja.“
„Auch an Garrosh?“
„Einen Brief in meiner Handschrift zu erhalt’n, würde ihm zwar einen ordentlichen Schreck einjag’n, aber dann könnte er für sich in Anspruch nehm’n, mich auf dem Gewissen zu haben. Und das ist ein Vergnüg’n, das ich ihm nicht gönnen will.“
Tyrathan runzelte die Stirn. „Hast du dann einen Plan in Gang gesetzt, um deinen Tod zu rächen?“
„Ich habe niemandem geschrieb’n, was Garrosh getan hat. Er würde ohnehin behaupt’n, dass die Briefe gefälscht wären oder dass ich sie unter dem Zwang der Zandalari geschrieb’n hätte.“ Vol’jin schüttelte den Kopf. „Ich habe meinen Freund’n nur geschrieben, dass ich stolz auf ihren Einsatz für die Horde bin und auf den Traum, für den sie steht. Sie werd’n schon verstehen, was ich damit meine.“
„Nicht so befriedigend, wie Garrosh selbst zu töten, aber genug, um in Frieden in deinem Grab ruhen zu können.“ Tyrathan schmunzelte. „Obwohl ich gerne gesehen hätte, wie du ihn erschießt. Mit einem Pfeil, den ich eigens für diesen Anlass angefertigt hätte.“
„Dann hätte er sein Ziel bestimmt nicht verfehlt.“
„Falls du überleben solltest, zieh ein paar Pfeile aus den toten Zandalari. Sie singen auch noch, wenn sie ein zweites Mal abgefeuert werden.“ Der Mensch klatschte in die Hände. „Würden wir jetzt Lebewohl sagen, würde ich dir die Hand schütteln und dir dann sagen, dass du dich wieder an die Arbeit machen solltest.“
„Und da es kein Lebewohl gibt, sollt’n wir uns direkt wieder an die Arbeit mach’n.“ Der Schattenjäger lächelte und blickte sich ein letztes Mal um. „Wir werden die Mogu heimsuchen und die Klingen, mit denen sie uns erschlag’n, und dann die Fische, die uns fressen. Und wir werden die Fische vergift’n, damit sie all jene töten, die von uns verschont blieb’n. Es ist zwar kein toller Plan, aber immerhin werden wir uns so in der Ewigkeit nicht langweilen.“
Khal’ak überkam ein Schauder, als sie den Schrei des Amani hörte. Sie wartete, lauschte darauf, ob das Jaulen wieder lauter wurde, ob es abrupt verstummte oder ob das Poltern von Steinen weitere Schreie ankündigte, doch da war nur das Geheul des Trolls, und es verebbte nun zu einem erbärmlichen Winseln. Entweder war sein Schrei mehr aus Schrecken denn aus Schmerz geboren, oder aber der Schmerz war so stark, dass er das Bewusstsein verloren hatte.
Sie hatte nicht vorgehabt, Amani oder Gurubashi in den Kampf miteinzubeziehen. Natürlich hatte sie eine große Menge beider Trollvölker mitgebracht, denn man konnte wohl kaum von den Zandalari erwarten, dass sie selbst kochten oder Wäsche wuschen oder die Ausrüstung trugen. Unglücklicherweise neigten ihre Truppen aber zu stoischem Gleichmut, was die Fallen anging, die den Weg vor ihnen säumten. Sie schrien nicht, wenn sie in eine hineintappten, und sie gerieten auch nicht in Panik. Kurzum, sie machten nicht genug Lärm, um die anderen auf die Gefahren hinzuweisen.
Und Gefahren hatte es mehr als genug gegeben. Die meisten davon, das wusste Khal’ak, waren das Werk des Schattenjägers. Fallgruben und herabrollende Baumstämme, Felsrutsche und kleine Belagerungsmaschinen, die Pfeile auf sie herabregnen ließen; alles war so platziert, dass es die Vorzüge des Terrains voll ausschöpfte. Der steile Pfad zwang die Truppen, langsamer zu marschieren, und hie und da stauten die Einheiten sich an Engpässen, aber inzwischen hatten die Zandalari gelernt, an diesen Stellen besonders vorsichtig zu sein, sodass sie den Schaden minimieren konnten.
Den körperlichen Schaden zumindest.
Denn Trolle gesundeten schnell, und was sie nicht sofort umbrachte, verheilte wieder. Aber obwohl die Zandalari ihre Verbände wie Symbole des Mutes trugen und die Bemühungen des Feindes verspotteten, konnte Khal’ak doch bereits sehen, welchen Effekt die zahlreichen Fallen auf sie hatten. Sie bewegten sich viel vorsichtiger. Das war nicht unbedingt etwas Schlechtes für eine Armee, aber ihre Leute blieben auch dann zaghaft, wenn Mut und Entschlossenheit gefragt waren.
An manchen Stellen, wo es eine direkte, obschon schwierige Möglichkeit gab, um einen solchen Flaschenhals zu umgehen, kletterten ihre Truppen geschickt den nackten Fels empor. Oben angekommen, fanden sie nicht selten kleine Belagerungsmaschinen vor und Spuren, die von dort zum Eingang von Höhlen führten. Oft bargen diese Höhlen weitere Fallen, außerdem kamen die Zandalari dort nur mühsam voran, und stets fanden sie sich nach fünfzig oder hundert Fuß beschwerlichen Herumkriechens vor einer Barrikade wieder.
Es war frustrierend, aber es war nichts verglichen mit dem, was ein paar Stunden später folgte, als die Kletterer, die sich die Finger aufgekratzt oder Steinsplitter unter ihren Nägeln hatten, plötzlich feststellen mussten, dass ihre Finger und Zehen taub wurden. Dann schwollen sie an. Die Einkerbungen im Fels, an denen sie Halt gesucht hatten, waren mit Giften bestrichen worden, die zwar niemanden töteten, aber sie kampfunfähig machten und zudem schauerliche Halluzinationen auslösten. Fortan zögerten die Zandalari, wann immer sie eine feuchte Stelle oder einen öligen Fleck sahen. Sie versuchten abzuschätzen, ob sie vergiftet waren, und das bedeutete, dass sie von ihrer eigentlichen Aufgabe abgelenkt wurden.
Vol’jin griff ihren Geist an, und er tötete ihren Kampfwillen.
Zudem verhöhnte der Schattenjäger sie. Fast gegen ihren Willen drehte Khal’ak eine kleine Holzscheibe zwischen Daumen und Fingern. Auf eine Seite war das Trollsymbol für die Zahl „Dreiunddreißig“ eingebrannt, auf der anderen das entsprechende Mogu-Zeichen. Diese Scheiben hatten sie auf dem Grund von Fallgruben verstreut gefunden oder an Stellen, von wo aus Späher ihren Vormarsch beobachtet hatten. Gerüchte machten die Runde, wonach eine dieser Scheiben sogar in Khal’aks Zelt gelegen hätte, was darauf hindeutete, dass der Schattenjäger sie hätte umbringen können, ebenso problemlos und unbemerkt, wie er die Soldaten auf der Insel des Donnerkönigs getötet hatte. Was die Zahl anging, so meinten einige, dass es die Jahrtausende seit dem Fall des Donnerkönigs wären oder dass diese Zahl vielleicht eine Rolle bei seinem Untergang gespielt hatte oder dass Vol’jin womöglich der dreiunddreißigste Schattenjäger einer bestimmten Tradition war. Welche Tradition das sein sollte, konnte niemand sagen, und Khal’ak hatte sich gezwungen gesehen, einen Amani hinrichten zu lassen, um zu demonstrieren, was mit Leuten geschah, die solche Gerüchte verbreiteten. Aber die Geschichten hatten in den Köpfen der Krieger bereits Fuß gefasst, und es gab nichts, was sie daran ändern konnte.