Die Mönche schossen Pfeile mit V-förmigen Spitzen ab, deren Innenseiten geschärft waren, sodass die Kanten mühelos durch die Seile schnitten – und die Äste schnellten nach vorne.
Kettennetze schlangen sich um einen Zandalari wie die Arme einer Geliebten, und er riss sein eigenes Fleisch in Fetzen, als er sich zu befreien versuchte. Sichelklingen bohrten sich durch Hälse oder stießen so tief in die Leiber von Trollen, dass diese vom Boden hochgehoben wurden. Eine Klinge fuhr einem Zandalari quer übers Gesicht, und nachdem sie seine Augen zerfetzt und ein Ohr abgerissen hatte, blieb er unter dem Baum sitzend zurück und versuchte, mit blutigen Fingern seine Züge wieder zusammenzusetzen.
An der nördlichen Seite, vor dem Eingang der Versiegelten Kammern, klickten kleine Belagerungsmaschinen, und einen Moment später segelten Dutzende kleiner, irdener Töpfe durch den Himmel. Sie zerbarsten entlang des Weges vor der schmalen Hängebrücke, die zu der Insel im Herzen des Klosters führte. Einige vergossen stinkendes Gift über den Stein, andere waren mit Öl gefüllt gewesen, um den Boden rutschig zu machen, und wieder andere gaben Flüssigkeiten frei, die sich mit dem Inhalt anderer Töpfe vermischten und beißenden weißen, lilafarbenen und grünen Dampf heraufbeschworen.
Vol’jin hatte gehofft, dass der Gestank den Vormarsch der Trolle verlangsamen würde, doch leider wehte der auffrischende Wind die Schwaden auseinander, und die Schneeflocken, die sie ersetzten, behinderten Vol’jins Sicht nicht genug, um zu verbergen, wie die Zandalari durch den Hain stürmten. Bald würde sie nur noch die Brücke von der Insel trennen, in deren Zentrum der Troll in einem offenen Pavillon wartete, und der Graben, über dem die Brücke sich spannte, war nicht breit genug, um sie aufzuhalten.
„Tyrathan, zieh dich zurück: Sie werden erst stehen bleib’n, wenn ich sie zum Stehen bringe.“ Er riss seine Gleve aus der Hülle. „Ihr alle, zieht euch zurück wie geplant! Und danke!“
Die Mönche und der Mensch verließen die Insel über eine andere Brücke, die sie zu den Belagerungsmaschinen führte. Von dort eilten sie dann nach Süden zum Dojo von Meister Schneewehe, wo sie mit Bruder Cuo und seiner Einheit zusammentreffen würden.
Auf der anderen Seite hatten die Zandalari inzwischen den Graben erreicht. Sie hielten kurz inne, vielleicht, weil sie sich einen Moment erholen wollten, bevor sie weiterstürmten, vielleicht aber auch, weil es sie überraschte, einen einzelnen Dunkelspeer, einen Schattenjäger vor sich auf der Insel zu sehen. Vol’jin sagte sich, dass Letzteres der Grund sein musste, denn andernfalls würden die Zandalari nie zögern.
Er hob die Gleve mit beiden Händen über den Kopf und brüllte in den stärker werdenden Wind hinein. „Ich bin Vol’jin von den Dunkelspeeren, Sohn des Sen’jin von den Dunkelspeeren! Ich bin ein Schattenjäger! Jeden von euch, der glaubt, sein Blut, sein Mut oder seine Fähigkeiten wären mir überleg’n, fordere ich hier zum Duell! Falls ihr auch nur einen Funk’n Ehre im Leib habt oder euch wirklich für tapfer haltet, dann werdet ihr meine Herausforderung annehm’n!“
Die Krieger blickten einander an, überrascht und verwirrt. Durch das Gedränge am Rand des Grabens wurde ein Troll über die Kante geschubst, und er landete zusammengekrümmt im Schnee, die Augen nach oben zu Vol’jin gerichtet. Als er versuchte, an der Wand des Grabens wieder hochzuklettern, lachten seine Kameraden ihn nur aus. Es war in der Tat ein merkwürdiges Verhalten für einen Zandalari, aber der Schattenjäger hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, was das bedeuten mochte.
Diese Narren glaub’n mir nicht. Er blickte auf den Soldaten im Graben hinab. Schnee bedeckte seine Rüstung, aber der Zauber des Schattenjägers hüllte ihn in Frost. Der Troll brach zusammen, am ganzen Körper zitternd, und kratzte mit langsamen Bewegungen an den Wänden, als könnte er so aus dem Graben entkommen.
Nun bahnte sich ein Mogu mit einem Speer einen Weg zum anderen Ende der Brücke. „Ich bin Deng-Tai, Sohn von Deng-Chon. Meine Familie hat dem unsterblichen Kaiser schon gedient, als es noch keine Dunkelspeere gab. Ich weiß, mein Blut ist deinem überlegen. Ich fürchte dich nicht. Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du aus tausend Schnitten Blut weinen.“
Vol’jin nickte und machte in einer einladenden Geste einen Schritt nach hinten. Die Seile der Brücke spannten sich, als Deng-Tai auf ihn zukam, und die Bretter ächzten. Fast wünschte der Schattenjäger, ein Pfeil würde die Haltetaue durchtrennen, aber er wusste, der kurze Fall würde den Mogu nur wütender machen und ihn selbst beschämen.
Wäre der Graben tief genug gewesen, sodass der Sturz den Feind tötete, hätte Vol’jin die Schande vermutlich überlebt. Ob er den Speer des Mogu überleben würde, war eine andere Sache. Die Waffe hatte einen recht kurzen Griff, aber eine lange Klinge, an der Spitze gekrümmt und ringsum mit Zacken verziert. Ein einziger beiläufiger Hieb mit diesem Speer könnte einen Ochsen enthaupten.
Zum Glück bin ich kein Ochse.
Der Mogu, der einen Kopf größer als Vol’jin war, dazu anderthalbmal so breit und in eine Kettenrüstung gekleidet, verlangsamte seine Schritte nicht, als er die kleine Insel betrat, sondern schnellte mit überraschender Geschwindigkeit auf den Troll zu. Seine Rüstung, so schwer sie auch war, schien ihn nicht im Mindesten zu behindern.
Als Deng-Tai zuschlug, drehte Vol’jin sich nach links weg, sodass die Klinge eine der Säulen des Pavillons traf. Funken stoben auf. Nun wirbelte Vol’jin seine Gleve nach unten, auf das rechte Handgelenk seines Gegners hinab. Die Klingenspitze durchschlug das Kettengewebe, das Armschiene und Handschuh verband, und schwarzes Blut schoss aus der Wunde.
Doch jede Freude, die der Troll verspürt haben mochte, weil er den ersten Treffer gelandet hatte, löste sich auf, als der Mogu seinen Speer nach hinten stieß. Die stählerne Kugel, die das stumpfe Ende umschloss, bohrte sich ihm in die Rippen, und die Wucht des Schlages hob ihn von den Füßen. Er sprang zurück und landete gebückt, bereit, den nächsten Hieb abzufangen, als der Mogu zu ihm herumwirbelte.
Doch dann verschwand sein Gegner hinter einem Vorhang windgepeitschter Schneeflocken.
Vol’jin kauerte sich zusammen und schlug zu. Der Speer des Mogu sauste wenige Fingerbreit über seinen Kopf hinweg, aber seine Gleve traf etwas, vermutlich einen Knöchel, wenn auch nicht hart genug. Die Klinge glitt wirkungslos von der Rüstung ab.
Nun zog Vol’jin den rechten Arm an und rollte sich auf diese Seite. Er blieb gebückt hocken, aus Furcht vor einem weiteren fegenden Streich des Speers. Doch stattdessen sprang der Mogu hoch aufgerichtet durch den Schnee und hieb die Klinge senkrecht nach unten, auf die Stelle hinab, wo der Troll eben noch gekauert hatte. Die Klingenspitze bohrte sich in den Stein und versank fünf Zoll tief im Boden, umgeben von einem Netz aus Rissen.
Vol’jin sah seine Chance: Er sprang auf und drehte sich, dann schwang er seine Gleve, von links unten nach rechts oben. Die geschwungene Schneide schnitt durch die linke Achsel des Mogu, und die Stahlringe klimperten zu Boden, als das Kettenhemd zerriss. Blut spritzte, aber weder die gelösten Ringe noch die roten Tropfen waren zahlreich genug, um eine ernsthafte Verletzung anzuzeigen.
Vol’jins Hieb trug ihn in einem Halbkreis um seinen Feind herum, sodass er nun wieder dem Hain und den Trollen zugewandt war, die am Rand des Grabens warteten. Ein Zandalari-Offizier war zwischen ihnen aufgetaucht, und obwohl der Schattenjäger ihn nur einen kurzen Augenblick zwischen den Schneeflocken hindurch sah und der Wind seine Befehle verschluckte, zeigten die wilden Gesten des Trolls Vol’jin doch, dass er seine Soldaten gerade zum Angriff antrieb.
Einen Moment später ergoss sich eine Woge von Zandalari in den Graben.
Vol’jin wollte eine Warnung rufen, aber da wirbelte der Mogu herum. Er hatte seinen Speer nicht aus dem Boden gezogen, sondern den Griff abgebrochen, und nun schwang er das stumpfe Ende in der Hand. Der Schlag traf den Dunkelspeer am Bauch und schleuderte ihn nach hinten, gegen die Säulen des Pavillons. Sterne explodierten vor seinen Augen, als sein Kopf gegen den Stein prallte, dann sank er benommen auf die Knie.
Deng-Tai ragte über ihm auf, den Speergriff zu einem Überhandschlag erhoben, sodass die Stahlkugel seinen Schädel zertrümmern würde. Der Mogu lächelte. „Ich verstehe nicht, warum sie dich fürchten.“
Vol’jin grinste. „Weil sie wiss’n, dass ein Schattenjäger immer tödlich ist.“
Deng-Tai starrte ihn verständnislos an. Schnee wirbelte um die kleine Insel und verbarg die beiden Kämpfer, ebenso wie die Nebel von Pandaria den Kontinent vom Rest der Welt verborgen hatten. Dennoch surrte der geschwärzte Pfeil unbeirrbar durch den Sturm. Falls es Tyrathans Absicht gewesen war, den Mogu zu töten, hatte er sein Ziel verfehlt, aber zumindest hielt Deng-Tai einen Moment inne, als das Geschoss wie eine Sternschnuppe dicht an seinen Augen vorbeischoss.
Mehr brauche ich gar nicht.
Der Speerschaft zischte nach unten.
Doch das kurze Zögern hatte Vol’jin genug Zeit verschafft, um sich nach rechts zu drehen. So verfehlte die Stahlkugel seinen Kopf und traf nur seine linke Schulter. Er spürte kaum, wie seine Knochen brachen, er hörte es nur, dann wich jegliches Leben aus seinem linken Arm. In einer anderen Situation hätte er sich Sorgen um die Verletzung gemacht, aber jetzt war er völlig losgelöst vom Schmerz, losgelöst von allen Sorgen über die Zukunft.
Tatsächlich fühlte er nur noch zu einem eine Verbindung, und zwar zum Kloster. Zu den Mönchen und dem Training, das er hier erhalten hatte – nichts anderes zählte noch. Nichts anderes durfte noch zählen. Die Zandalari sind dieses Ortes unwürdig. Falls sie glaub’n, sie könnten ihn zerstör’n, sind sie Narren.
Er wirbelte auf den Knien herum, kam wieder hoch und schwang die Gleve wie eine Sichel. Schwarze Flüssigkeit schoss aus der Kniekehle des Mogu, wichtiger noch war aber, dass sein Bein einknickte.
Deng-Tai stolperte nach links, bevor er umkippte, und als er schwer auf seinem verwundeten Knie landete, rangen die Schmerzen ihm ein Grunzen ab. Doch er fing sich mit der linken Hand und streckte das rechte Bein, um wieder die Balance zu finden. Noch in derselben Bewegung wirbelte er den Speerschaft herum, um Vol’jin zu erwischen, als dieser vorschnellte, um seinen Vorteil auszunutzen.
Nicht einmal als er noch ein Kind gewesen war und auf eine Herde kleiner Raptoren aufgepasst hatte, wäre Vol’jin auf einen solchen Trick hereingefallen. Er riss den Oberkörper nach hinten, sodass die Stahlkugel an seinem Kinn vorbeisauste, und sprang dann vor. Mit einem brutalen Tritt von der Seite zerschmetterte er das rechte Knie des Mogu, anschließend rammte er den Fuß nach unten, um auch seinen Knöchel zu brechen.
Deng-Tai hieb den Arm wieder nach unten, und der Speerschaft prallte gegen Vol’jins Hüfte, doch der Troll hatte den Schlag vorausgeahnt und sich darauf vorbereitet. Als die rechte Hand des Mogu dann an ihm vorbeisauste, riss er die Gleve hoch und trennte die Pranke am Handgelenk ab. Gemeinsam mit dem abgebrochenen Ende des Speers verschwand sie im stürmischen Schneegestöber.
Kurz starrte der Mogu noch den Stumpf an, aus dem dampfendes Blut hervorquoll, dann hatte Vol’jin seine Waffe herumgewirbelt und den Hals des Kriegers mit einem sauberen Vorhandschlag durchschnitten.
Eines der Loa – denn nur die Loa waren zu so etwas imstande – hielt einen Moment lang den Sturm an. Die Winde erstarben, die Luft klärte sich. Alles blieb ruhig, während der Kopf des Mogu langsam nach vorne rutschte, kippte und von der Brustplatte abprallte. Er rollte über den Boden, bis er von einer Schneeverwehung aufgehalten wurde, und seine blinden Augen starrten seinen kopflosen Körper mit solcher Intensität an, wie eine verschmähte Frau ihren untreuen Ehemann anglotzen mochte.
Auch das Kampfgetümmel ringsum erstarb während dieser paar Herzschläge. Trolle und Mönche blickten allesamt zur Insel hinüber, wo der Mogu vor dem Schattenjäger kniete. Sein abgehackter Kopf schien zu nicken, und dann kippte sein Körper in einer letzten, ehrerbietigen Verbeugung nach vorne.
Einen Moment später deutete der Trollhauptmann mit seinem Schwert auf Vol’jin. „Er ist allein und verletzt. Tötet ihn! Tötet sie alle!“
Der Frieden zerbarst mitsamt der Stille, und die Zandalari-Krieger stürmten los.
Während er sich den Trollen stellte, die über die Brücke heranbrandeten und am Rand des Grabens heraufkletterten, erkannte Vol’jin ganz bewusst, was ihm unterbewusst schon zuvor aufgefallen war: Er kämpfte nicht gegen Zandalari. Zumindest nicht nur. Die Größten gehörten zu diesem Volk, ja; ihr Körperbau verriet sie – und die Tatsache, dass einigen von ihnen ein roter Pfeilschaft aus dem Auge oder dem Hals spross, als sie näher kamen. Die anderen trugen zwar Zandalari-Uniformen, mussten aber Gurubashi und Amani sein.
Die Taktik, schwächere Truppen vorzuschicken, bevor die stärksten und besten Krieger ins Kampfgeschehen eingriffen, war dem Dunkelspeer wohlbekannt, und zweifelsohne schwoll Khal’aks Brust gerade vor Stolz, weil sie diese Strategie gewählt hatte. Doch Vol’jin war fest entschlossen, ihr zu demonstrieren, dass ihr Plan nicht funktionieren würde. Da er sie nicht unter den Trollen sehen konnte, die ins Kloster quollen, musste er sich vorerst jedoch damit begnügen, ihre Soldaten zu zerstören.
Zerstörung schien ihm der richtige Ausdruck, denn es war nicht wirklich ein Kampf. Früher oder später würde ihn die schiere Masse ihrer Truppen überwältigen, und zusätzlich zu den Kriegern, die auf ihn zupolterten, tauchten nun auch Priester und Hexendoktoren aus dem Hain auf. Schwarze Energie knisterte zwischen ihren Händen, als sie mächtige Zauber auf die Mönche entfesselten, die die Versiegelten Kammern verteidigten. Einige von ihnen fielen, aber dann konterten die Sturmrufer unter den Shado-Pan. Ihre Zauber explodierten inmitten der Trolle, sodass die Angreifer in Flammen auf- oder mit gesprengter Brust zu Boden gingen.
Vol’jins linke Schulter hatte sich bereits so weit erholt, dass er sie wieder ein klein wenig bewegen konnte, während er sich den Trollen entgegenstellte. Er fühlte sich wie ein scharfer, tödlicher Teil des Windes, der eine blendende Wand aus Schneeflocken über das Schlachtfeld fegte. Genauso wie die kalten Böen durch Kleider schnitten und das Fleisch darunter frösteln ließen, schnitt seine Gleve durch die Rüstungen seiner Feinde. Sie stieß tief in Leisten und zerfetzte Arterien, sie bohrte sich in Nacken, dass heißes Blut den fallenden Schnee verdunkelte, sie durchtrennte Achillessehnen und stach Augen aus.
Die Kehlen seiner Gegner ließ er jedoch intakt, damit sie ihre Furcht und ihren Schmerz hinausbrüllen konnten.
Einige traten ihm tapfer entgegen, andere näherten sich langsam und vorsichtig. Sie suchten nach einer Lücke in seiner Deckung, nach einem Schwachpunkt, aber Vol’jin nutzte ihre Schwäche und schlug Lücken in ihre Deckung. Er hielt sich nun schon so lange für tot, dass die kleinen Schnitte und Stöße, die sie ihm versetzten, keinerlei Bedeutung mehr für ihn hatten. Ein Schlag, der ihn nicht sofort tötete, war in seinen Augen kein richtiger Treffer.