Ein Gedanke hallte durch seinen Geist, ausgesprochen von einer tiefen, fernen Stimme – Bwonsamdis Stimme, die aus der Leere empordrang. Oder um zu beweisen, dass Vol’jin nicht tot ist?
Er hatte keine Antwort darauf, aber er legte sich eine zurecht, während er hinter einem Mönch in den Sattel kletterte. Ich ziehe in den Krieg, Bwonsamdi, damit du ein paar neue Gäste für die Ewigkeit begrüß’n kannst. Du glaubst vielleicht, du kennst mich nicht länger, aber ich kenne dich noch. Es ist Zeit, dich daran zu erinnern.
Der Flugmeister – der eine Mönch, der allein ritt – gab ein Signal, und die Wolkenschlangen glitten auf den Rand des Bergplateaus zu, dann stürzten sie sich in den Abgrund. Sie rasten der Erde entgegen, und Vol’jin, der keinen Helm trug, weil keiner aus dem Kloster ihm gepasst hatte, spürte, wie der Wind an seinen roten Haaren zerrte. Er brüllte aufgeregt.
Doch da flutete die kalte Bergluft seine Lungen und erweckte den Schmerz in seinem Hals zu neuem Leben. Der Troll hustete und spürte sogleich ein leichtes Stechen in seiner Seite. Mit einem Knurren atmete er durch die Nase ein und verfluchte die Wunden aus seinem letzten Kampf.
Die Wolkenschlangen krümmten sich und schossen hoch in den Himmel. Ihre schuppigen Leiber zuckten und tanzten dabei spielerisch, geradezu vergnügt. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte Vol’jin den Flug vermutlich ebenfalls genossen, aber die grimmige Natur ihrer Mission zog ihm den Magen zusammen. Sie waren unterwegs, um das Gegenteil von Freude zu verhindern, und er war sich nicht einmal sicher, ob sie rechtzeitig eintreffen würden, um die Katastrophe noch abwenden zu können.
Sie erreichten die Berge nahe Zouchin im letzten Moment, und Vol’jin wünschte sich, dass sie entweder viel schneller oder sehr viel später angekommen wären. Fünf Schiffe waren bereits in den Hafen gesegelt, draußen auf dem Ozean brannte ein Fischerboot gerade bis auf den Kiel herunter. Belagerungsmaschinen – allesamt von der kleineren Sorte, die für den Einsatz auf Schiffen geeignet war – schleuderten Steine an Land, und als diese Geschosse durch das Dorf rollten, zerschmetterten sie Häuser, doch wie durch ein Wunder blieben keine zermalmten Leiber hinter ihnen zurück.
Vol’jin betrachtete die Schlacht, die sich vor ihm entfaltete, dann tippte er dem Mönchsreiter auf die Schulter. Er machte eine Kreisbewegung mit dem Finger und deutete nach Süden, wo sich ein Ziegenpfad aus dem Dorf herausschlängelte. Einige Pandaren hatten sich bereits in diese Richtung zurückgezogen.
Wissen ist Macht. Die Zandalari werd’n verhindern wollen, dass man die umliegend’n Orte alarmiert.
Tyrathan pfiff laut und hob den Arm. Auch er hatte es gesehen. Ob er nun wirklich so gute Augen hatte oder ob er gewusst hatte, wo die Zandalari ihren Hinterhalt legen würden, weil er genau dieselbe Stelle gewählt hätte, machte keinen Unterschied. Vol’jin deutete ebenfalls dorthin, und die ersten beiden Wolkenschlangen stürzten vom Himmel herab.
Der Flugmeister schnellte vor den anderen in die Tiefe und zog sein Tier dann in eine weite Schleife. Die Kreatur duckte sich hinter eine Reihe von Hügeln und landete auf einem ebenen Fleck, hundert Schritt westlich des Weges. Nachdem sie alle am Boden angekommen waren, stiegen die Mönche ohne ein Wort ab. Tyrathan hatte seinen Bogen bereits griffbereit, und Vol’jin tat es ihm einen Herzschlag später gleich. Die beiden übernahmen nun die Spitze, während die Pandaren ihnen folgten.
Dieses Land mochte weder Troll noch Mensch gehören, aber sie kannten sich auf dem Schlachtfeld besser aus als die Mönche. Chen, dem der Krieg ebenso wenig fremd war, nahm die blaue Einheit und führte sie direkt auf den Pfad zu, während die roten Pandaren hinter Vol’jin und dem Menschenjäger, so schnell sie konnten, nach Norden drängten.
Vor ihnen tauchte ein Zandalari-Schütze auf einem Hügel auf und zielte mit einem Bogen auf sie. Tyrathan sah ihn und legte in einer flüssigen Bewegung einen Pfeil an seine eigene Sehne. Er maß die Entfernung, dann zog er mit sparsamen, erfahrenen Bewegungen den Pfeil an seine Brust und ließ ihn los. Das Geschoss zischte durch die breiten Blätter, dann stieg es höher und raste auf den Hals des Trolls zu. Seine Spitze bohrte sich auf der einen Seite unter dem Kiefer in die Kehle und trat auf der anderen Seite unter dem Ohr wieder heraus.
Der Pfeil des Zandalari hüpfte von der Sehne, und sein kraftloser Flug endete bereits, bevor der Troll die Hand an den Schaft heben konnte, der aus seinem Hals hervorragte. Er versuchte, auf das Geschoss hinabzublicken – was unmöglich war, denn je weiter er den Kopf drehte, desto weiter drehte sich die Pfeilspitze vor ihm weg. Schließlich streifte die Befiederung auf der anderen Seite gegen seine Schulter, und die Augen des Trolls weiteten sich. Er öffnete den Mund, aber anstelle von Worten sprudelte nur Blut hervor. Der Zandalari brach zusammen und rollte leblos den Hügel hinab.
Und dann brachte Krieg die Welt aus dem Gleichgewicht.
Gebrüllte Befehle leiteten die Schlacht ein, doch sie wurden ohne Panik gegeben; die Zandalari kannten keine Panik. Eine Einheit sollte nach Süden ziehen und angreifen, während die anderen die Straßen blockierten. Pfeile flogen auf unsichtbare Ziele zu, doch den Schützen ging es gar nicht darum, etwas zu treffen. Sie wollten nur ihre Beute aufschrecken.
Eines der Geschosse pfiff an Vol’jins Ohr vorbei, und um eine Haaresbreite wäre all die Mühe, es wieder anzunähen, umsonst gewesen. Er schoss zurück, erwartete aber nicht, seinen Feind zu töten. Der Pfeil traf den Zandalari, durchdrang aber nicht die Rüstung, und der überraschte Schrei verwandelte sich in ein dankbares Grunzen. Der Kerl musste wohl glauben, dass das Glück auf seiner Seite war.
Aber das ist nicht dasselbe, wie die Loa auf seiner Seite zu hab’n.
Vol’jin fiel die ungeduldige Disziplinlosigkeit auf, mit der der Zandalari durchs Gebüsch brach. Bislang war er nicht auf ernsthafte Gegenwehr gestoßen, und er hatte keine organisierte Verteidigung gesehen. Der Pfeil, der ihn getroffen hatte, war kaum mehr als ein Spielzeug. Sämtliche Informationen, die der Angreifer bislang über seine Gegner hatte, deuteten also darauf hin, dass er leichtes Spiel haben würde.
Er sieht keine Bedrohung. Sein Fehler.
Vol’jin, der sich zusammengekauert hatte, während der Troll den kleinen Hügel herunterstürmte, sprang nun wieder auf und schwang seine Gleve in einem Bogen. Der Zandalari blockte die Waffe mit seinem Schwert ab, aber seine Bewegung kam zu spät und zu langsam. Vol’jin verlagerte seinen Griff und schob die obere Klinge nach vorne, dann drehte er sie herum und hieb zu. Während die Geschwindigkeit seines Gegners ihn weiter den Hügel hinabtrug, sank der geschwungene Stahl tief in seinen Hals, und als Vol’jin die Spitze freiriss, ergoss sich eine Fontäne hellen Blutes aus der Schlagader.
Der Zandalari starrte ihn an, während er umkippte. „Warum?“
„Bwonsamdi hat Hunger.“ Vol’jin stieß den Troll mit dem Fuß von sich und schlich den Hügel hinauf, wo er mit einem tiefen Schlag die Beine eines weiteren Feines aufschlitzte. Noch in derselben Bewegung richtete er sich auf und hieb seine Gleve nach unten, sodass die Waffe den Schädel des Trolls zerschmetterte.
Der Zandalari ächzte, und seine Augen wurden glasig, bevor er fiel und durch das Gras rollte.
Trotz allem musste Vol’jin lächeln. Der Geruch von warmem Blut erfüllte die Luft, Zischen und Stöhnen und Schreien und das Klirren von Waffen zogen ihn in die Schlacht hinein. Wenn er seinen Feinden auflauerte, fühlte er sich mehr zu Hause, als er es je im friedlichen Kloster tun würde, und auch wenn diese Erkenntnis Taran Zhu mit Grauen erfüllt hätte, der Dunkelspeertroll kam sich dadurch lebendig vor. Lebendiger, als er sich je in Pandaria gefühlt hatte.
Zu seiner Rechten schoss der Mensch einen Pfeil ab, und ein Zandalari ging um die eigene Achse wirbelnd zu Boden. Ein schwarzer Schaft mit roter Befiederung ragte zitternd aus seinem Brustbein. Tyrathan gab seinem Gegner den Rest, indem er ihm einen Dolch über die Kehle zog, dann nahm er dem Toten einige Zandalari-Pfeile ab und bewegte sich lautlos weiter durch das Gebüsch. Er war der Tod auf Tigerpfoten, unbemerkt, bis er zuschlug.
Die Mönche links und rechts von ihnen bewegten sich auf merkwürdige Weise mit der Landschaft, ohne jedoch wirklich mit ihr zu verschmelzen. Abgesehen von der Rüstung hätte der Pandaren, der Vol’jin am nächsten war, ebenso gut hier sein können, um Kräuter zu pflücken. Er bewegte sich nicht im Rhythmus der Schlacht, war noch nicht im Kampf versunken, aber viel länger würde er sich diese Distanziertheit nicht leisten könnten.
Ein Zandalari-Krieger griff ihn an, das Schwert zum tödlichen Stoß erhoben. Der Mönch drehte sich nach links weg, und die Klinge zischte an ihm vorbei, aber nur, um in einem Kreuzhieb erneut auf ihn zuzurasen. Da packte der Pandaren das Handgelenk des Trolls und wirbelte herum, sodass sie beide in dieselbe Richtung blickten. Der Schwertarm des Zandalari war nun ausgestreckt vor dem Bauch des Mönchs gefangen, und als der Pandaren das Handgelenk seines Feindes verdrehte, gaben die Knie des Trolls nach. Doch bevor er ins Gras kippen konnte, sauste der Ellbogen des Mönchs nach oben. Der Zandalari keuchte, als der Schlag seinen Kiefer zerschmetterte und seine Kehle zermalmte.
Einen Moment später huschte der Mönch weiter, als wäre nichts gewesen. Vol’jin eilte hastig zu ihm hinüber und riss seine blutige Klinge hoch. Der Pandaren wusste nicht, wie schnell Trolle sich von nicht tödlichen Angriffen erholen konnten, darum hatte er das Rascheln hinter sich als Todeszuckungen interpretiert. Doch es war vielmehr das Geräusch eines wütenden Trolls, der zu seinem nächsten Hieb ansetzte.
Da schnitt Vol’jins Gleve sauber von vorne durch den Hals des Zandalari. Der Kopf des Wesens wurde abgetrennt und hing noch in der Luft, als der Körper unter ihm schlaff in sich zusammensackte, dann fiel auch der Schädel und landete auf der Brust des toten Trolls. Vol’jin setzte sich wieder in Bewegung, während hinter ihm die echten Todeszuckungen begannen.
Gemeinsam mit den Mönchen duckte er sich tiefer hinter die Büsche und schlich in eine kleine grasbewachsene Senke hinab, die parallel zum Fluchtweg verlief. Anschließend stürmte Vol’jin ohne langes Zögern den nächsten Hügel hinab und mitten in die von Zandalari geführte Feindgruppe hinein. Selbst wenn er erst innegehalten hätte, um darüber nachzudenken, hätte er genauso gehandelt. Er wusste schließlich schon, dass er es nur mit leicht gepanzerten Scharmützlern zu tun bekommen würde, die vorausgeschickt worden waren, um etwaige Flüchtlinge abzuschlachten. Sein schneller Angriff hatte auch nichts mit Zorn zu tun, sondern allein damit, dass er solche Truppen verachtete. Sie hatten keine Ehre, waren nicht Soldaten, sondern Metzger, und ziemliche ungeschickte obendrein.
Ein Gurubashi stürmte auf ihn ein, das Schwert hoch erhoben, aber der Dunkelspeer beschrieb eine Handbewegung, die Lippen vor Abscheu zurückgezogen, und Schattenmagie ließ den anderen Troll taumeln. Sie nagte an seiner Seele, lähmte ihn für einen Moment, aber noch bevor Vol’jin ihn erreicht hatte, sauste ein Shado-Pan-Mönch durch die Luft, und sein fliegender Tritt knickte den Schädel des Trolls nach hinten, sodass er tot zusammenbrach.
Vol’jins Doppelklinge surrte durch die Luft, als das Schlachtengedränge sich verdichtete. Das rasiermesserscharfe Metall schnitt durch bloßliegendes Fleisch, klirrte gegen abwehrend erhobene Schwerter und federte zischend von Paraden zurück. Jeder Aufprall, der die eine Klinge aufhielt, ließ die andere vorschnellen, sodass sie sich hinter ein Knie einhaken oder nach oben durch eine Achselhöhle hacken konnte. Heißes Blut spritzte, Körper sackten mit verkrümmten Gliedmaßen zu Boden, und letzte Atemzüge blubberten aus klaffenden Brustwunden.
Da traf ihn etwas mit großer Wucht zwischen die Schulterblätter. Vol’jin kippte nach vorne, rollte sich ab und drehte sich um, noch während er wieder auf die Beine kam. Er wollte seinen Zorn und seinen Stolz in einer Herausforderung herausbrüllen, aber seine schmerzende Kehle verweigerte ihm den Dienst. Also wirbelte er seine Gleve herum, dass Blut in einem weiten Bogen von der Klinge spritzte, und ging in die Hocke, die Waffe hinter seinem Rücken, bereit zuzuschlagen.
Er stand einem Zandalari gegenüber, der selbst die meisten seiner Art überragte und auch entschieden breiter war. In den Händen hielt er ein Langschwert, ein Relikt aus einer anderen Schlacht. Er kam schnell näher – schneller, als Vol’jin erwartet hatte, und riss seine Klinge in seinem Überhandschlag nach unten. Der Schattenjäger blockte den Schlag mit seiner Gleve ab, aber die Wucht des Schlages riss ihm die Waffe aus der Hand.
Der Zandalari sprang auf ihn zu und rammte Vol’jin die Stirn ins Gesicht, sodass der Dunkelspeertroll einen Schritt nach hinten taumelte. Anschließend warf er sein Langschwert beiseite und schnellte vor, um den Schattenjäger an der Brust zu packen. Er riss ihn vom Boden hoch und grub die Daumen in die Mitte von Vol’jins Brust, dann drückte er fest zu und schüttelte den Troll.
Als seine eisernen Finger sich in die Rippen des Dunkelspeers pressten, loderten alte Schmerzen wieder auf; die Daumen bohrten sich sogar durch die Brustplatte und zerrissen die Seide darunter. Mit einem Brüllen, trotzig und voller Zorn, schüttelte der Zandalari sein Opfer noch heftiger hin und her, die Zähne gebleckt, und dann hob er den Kopf.
Ihre Blicke trafen sich.
Dieser Moment schien sich unendlich hinzuziehen. Die Augen des Zandalari weiteten sich, verrieten seine Fassungslosigkeit, dass er sich in diesem Kampf einem Troll gegenübersah, und Vol’jin konnte klar und deutlich erkennen, wie Zweifel seine Stirn furchten.
Er wusste, was er tun musste.
So wie Taran Zhu es ihm gezeigt hatte, ballte er seine Faust. Seine Augen wurden schmal, als er sich die Zweifel des Zandalari vorstellte, ein schimmernder Ball, der durch das Gesicht des Trolls schwebte, und als er direkt hinter seinen Augen verharrte, schlug Vol’jin mit geblähten Nasenlöchern zu. Seine Hand stieß geradewegs durch die Züge seines Feindes, dass Knochen splitterten, und zerschmetterte den Zweifel.
Der Griff des Zandalari erschlaffte, und Vol’jin fiel auf die Knie. Mit einer Hand fing er sich, die andere schlang er um seine Brust, dicht vor seine Rippen. Als er tief einzuatmen versuchte, spürte er ein mahlendes Gefühl in seiner Seite, dann durchzuckte ihn ein scharfer Stich. Er legte die Hand auf die schmerzende Stelle, doch er konnte sich nicht ausreichend konzentrieren, um die Heilung einzuleiten.
Tyrathan hakte eine Hand unter seinen Arm. „Komm! Wir brauchen dich.“
„Ist jemand entkomm’n?“
„Ich weiß es nicht.“
Langsam stand Vol’jin auf, und er bückte sich nur noch kurz, um seine Waffe aufzuheben und sich die blutige Hand an einer Leiche abzuwischen. Als er sich wieder aufrichtete, blickte er sich in der Senke um. Die Spuren der Schlacht waren nicht zu übersehen. Die blaue Pandaren-Einheit, die den Ziegenpfad entlanggeeilt war, hatte die Zandalari angegriffen, die oben auf dem Hügel im Hinterhalt lagen; die roten Mönche hatten die feindlichen Krieger, welche den südlichen Weg abriegeln sollten, überrannt; und Vol’jin und die anderen waren den Invasoren in die Seite gefallen und hatten ihnen den Rest gegeben.